“Wir sind schwanger”

„Ich habe heute Nacht geträumt, dass unser Kind in meinen Bauch rüber geschlüpft ist. Es hat dort eine Weile gespielt. Ich habe deutlich die Bewegungen und Tritte gespürt.“ Das berichtete mir Timo, ein werdender Vater, bei der Vorsorge.
Timo ist super fürsorglich mit Sandra, ist bei jeder Untersuchung dabei und freut sich wahnsinnig auf sein erstes Kind. Als er erfahren hat, dass er Vater wird, hat er sofort mit dem Rauchen aufgehört, trinkt auch keinen Alkohol mehr, damit es Sandra nicht so schwer fällt darauf zu verzichten und aus dem ehemaligen „Kampfkaffeetrinker“ ist ein Kräutertee-spezialist geworden, da Sandra einfach keinen Kaffee mehr mag.
Mir fällt auf, dass der ehemals sportliche, schlanke Mann nun einen Bauch hat, der Sandra’s um nichts nachsteht. Und Sandra erzählt mir schmunzelnd, dass seine seltsamen Essgelüste locker mit ihren mithalten können, von seinen Stimmungsschwankungen ganz zu schweigen…

Couvade-Syndrom

Viele sprechen bei diesem Phänomen schnell vom Gebärneid. Ich halte das für ziemlichen Quatsch und habe dazu zwei sich ähnelnde, wissenschaftliche Erklärungen entdeckt, die ich im Folgenden zitiere:

Das Phänomen heißt in der Wissenschaft „Couvade-Syndrom“. Im Französischen bedeutet das Wort „couver“ unter anderem „ausbrüten“ oder „liebevoll betreuen“. Vor allem besonders mitfühlende Männer neigten zu „Parallelschwangerschaften“, berichtet der Entwicklungspsychologe Harald Werneck von der Uni Wien. „Es ist verblüffend, wie Männer manchmal die Beschwerden ihrer schwangeren Frauen übernehmen”.

Quellenangabe: Focus Online – “Couvade-Syndrom” vom 2.3.2009

Der Grazer Psychiater Professor Hans-Peter Kapfhammer erklärt: „Die Symptome reichen von gesteigertem oder vermindertem Appetit über Gastritis, Durchfall, Verstopfung bis hin zu Juckreiz, Kopf- und Zahnschmerzen. Elf bis 79 Prozent der werdenden Väter leiden an unspezifischen körperlichen und seelischen Symptomen. Dies sei Ausdruck einer konfliktreichen Anpassung an die Schwangerschaft und an die künftige Vaterrolle. So äußern Männer häufig die Angst, ihre Partnerin an das Kind zu verlieren.“

Quellenangabe:“Info Neurologie & Psychiatrie” (1, 2007, 32)

Männersache

Bei der Frau ist die Wandlung zur Mutter deutlich zu sehen. Aber was ist beim Vater los?
In vielen Kulturen gibt es festgelegte Aufgaben, die den Vater einbeziehen. So sind Srilankanische Männer für die gute Versorgung ihrer  Partnerin mit Nahrungsmitteln verpflichtet und bringen diesen bevorzugt würzige grüne Mangos. Die Jivaro-Väter in Equador ruhen sich zu Hause aus, wo sie sich(!) verhätscheln und eine bestimmte Diät einhalten. Der Arapesh-Mann in Neuguinea, hat die Pflicht möglichst oft mit seiner  schwangeren Frau zu schlafen, um so angeblich das Wachstum im Mutterleib zu fördern.
Unter der Geburt ist es in Kenia die symbolische Pflicht des Gabbra-Vaters, vor der Geburtshütte Gürtel und Hose abzulegen, um alles einengende zu lockern und dem Kind so symbolisch eine leichte Geburt zu bereiten. Und die Inuit-Männer in der Arktis begleiten die Geburt selbst, da durch das Nomadenleben häufig gar keine weibliche Verwandte, oder gar Hebamme vor Ort sein kann.
Quellenangabe: “Mamatoto – Geheimnis Geburt” – VGS-Verlag

Welche Aufgaben haben unsere Männer? Nestbauer, Namensgeber, Versorger?

Väter im Wandel der Zeit

Noch in den sechziger Jahren waren Männer grundsätzlich nicht im Kreißsaal dabei. Sie liefen meist kettenrauchend über die Krankenhausflure, bis jemand sie mit der Nachricht: „Es ist ein… und die Mutter ist wohlauf“ erlöste und sie endlich in die Kneipe feiern gehen konnten. Am nächsten Tag durften sie ihr Kind kurz durch die Glasscheibe bewundern und ihrer Frau Blumen bringen. Auch die Pflege und Erziehung war Frauensache.
Tja, das hat sich glücklicherweise durch die „frauenbewegten, neuen Männer“ der siebziger und achziger Jahre geändert.
Der heutige Mann ist eben eher wie Timo: Er fährt nachts zur Tankstelle, um Eiscreme und saure Gurken zu beschaffen. Er begleitet seine Frau zu Vorsorgeuntersuchungen und Geburtsvorbereitungskursen. Er ist bei der Geburt dabei und durchschneidet oftmals und fast schon als Ritual, symbolträchtig die Nabelschnur. Und im Wochenbett versorgt er seine Lieben und fungiert als „Bodyguard“, in dem er unerwünschten Besuch fernhält und die Familie abschirmt.

Von Mann zu Mann

Aber wo bleibt er selbst dabei?
Inzwischen gibt es zunehmend mehr Geburtsvorbereitungskurse speziell für Väter, in denen die Männer in intimer Runde über „Männerfragen“ sprechen. Es geht dort um ihre zukünftige Rolle, die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunftsfamilie oder Erziehung, sowie den Umgang mit den „schwangeren Austern“, Sexualität, Umgang mit Stimmungsschwankungen, Veränderungen in der Paarbeziehung, etc.
So einen Kurs würde ich euch Männern – jap, beim heimlich mitlesen erwischt! – unbedingt empfehlen. Denn so wie es auch Frauen gut tut, sich mit denen auszutauschen, die grade das Gleiche erleben, so geht es auch Männern. Zu erleben wie alle die gleichen oder zumindest ähnlichen Probleme, Gedanken und Erlebnisse haben, relativiert Vieles.
Wenn ihr mal wissen wollt wie Männer sich im Netz zu Väterthemen austauschen, dann schaut mal hier rein:
http://www.freshdads.com
http://www.vaterfreuden.de/partnerschaft/schwangerschaft-geburt

Auch Arte hat das Thema schon bearbeitet: http://moderncouple.arte.tv/de/

Was kann Mann tun?

Für die einen ist Timo ein Softie, für Sandra ist er der tollste Vater der Welt!
Redet miteinander über eure Erwartungen, Wünsche, Sorgen und Bedenken. Es gibt keine Regeln und Gesetzte dafür wie ihr zu sein habt.
Der Sprung vom Paar zur Familie kann ziemlich gigantisch sein. Aber wenn ihr sorgsam miteinander umgeht, habt ihr sicher eine weiche Landung und eine ziemlich gute Zeit!

Wie schwanger seid ihr? Was sind eure Erfahrungen?

 

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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4 Kommentare
  1. Avatar
    Marcus Spicker sagte:

    Hallo Jana,
    vielen Dank für die sehr treffende Beschreibung von Vätern wie Timo, in der ich mich mehr als wiederfinde. Doch sollte der doch erfreuliche Umstand, dass sich die Rolle der Väter während der Schwangerschaft und der Geburt in den letzten Jahrzehnten doch grundlegend gewandelt hat – wie du sehr schön beschreibst-, nicht allmählich auch Anlass dafür sein, dass Väter von Geburt an dieselbe Gewissheit über ihre Vaterschaft haben können wie sie Mütter von Natur aus über ihre Mutterschaft haben? Jedes Jahr werden nach seriösen Schätzungen 5-10 % aller Neugeborenen den falschen Vätern untergeschoben (das sind 35.000 Kuckuckskinder pro Jahr!). Denn als Vater gilt nach § 1592 BGB immer noch, wer entweder zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist oder (außerhalb der Ehe) die Vaterschaft anerkannt hat. Fliegt der Schwindel dann irgendwann auf, werden auch die Timos dieser Welt ungeachtet ihrer aufopferungsvollen Taten rasch als Väter entsorgt und verlieren den Kontakt zu ihren Kindern. Nicht nur für sie, besonders für die Kinder ist dies besonders schlimm. Daher sollte bei jeder Geburt auch die Vaterschaft festgestellt werden. Nicht zuletzt würde dadurch nämlich auch die Einsatzbereitschaft sowie die emotionale und soziale Beteiligung der Väter weiter zunehmen. Denn die Gene sind eine starke Macht, wie viele Kuckuckskinder in unserem Blog http://www.kuckucksvater.wordpress.com berichten. Deshalb sollten rechtliche und biologische Vaterschaft zusammenfallen. Die moderne Genanalyse gibt uns jedenfalls schon lange die Möglichkeiten dazu…Hast du als Hebamme bereits Erfahrungen zu dieser Thematik machen müssen?

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      Jana Friedrich sagte:

      Hallo Marcus,

      ich freue mich, dass Du Dich in dem Artikel “wiedergefunden” hast und er Dir gefällt.
      Das Kuckuckskinds-Thema ist natürlich ein heiß diskutiertes, kommt aber in meinem Hebammenalltag nicht vor. Das liegt womöglich daran, dass ich die Familien ja in der Regel “nur” bis maximal ein halbes Jahr nach der Geburt betreue.

      Gruß,
      Jana

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  2. Avatar
    Meike sagte:

    Hallo Jana,

    danke für Deinen tollen Artikel. Habe diesen gerade sofort an meine bessere Hälfte weitergeleitet. Wir haben uns größtenteils darin wiedergefunden. Unsere Schwangerschaft war eine spannende Zeit und auch für meinen Mann nicht so einfach wie er sich das vorgestellt hat 😉 Aber nun ist alles gut.

    Ganz liebe Grüße,
    Meike

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