Muttertät – damit diese verrückte Zeit endlich einen Namen bekommt

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Warum Muttertät?
Pubertät und Klimakterium – das sind zwei Begriffe, die Lebensphasen beschreiben, welche Veränderung bringen. Ebenso wie Taufe und Hochzeit Statuspassagen im Leben benennen. Aber was ist mit dem Übergang in die Mutterschaft? Für diese, ziemlich lebensverändernde Phase gibt es bisher keine richtige Bezeichnung. Schade eigentlich, sollte doch so eine bedeutsame Zeit im Leben auch eindeutig benannt werden können. Aber diese Wortlückewird jetzt geschlossen.

 

Schon in den 70er-Jahren benannte die amerikanische Feministin und Anthropologin Dana Raphael den Prozess des Mutter-Werdens Matrescence. In den letzten Jahren wurde der Begriff in den USA geläufiger. Die „Schwesterherzen Doulas“ etablierten die deutsche Übersetzung „Muttertät“ in den sozialen Medien. Und nun haben Svenja Krämer und Hanna Meyer ein Buch über die Muttertät geschrieben.

In „Muttertät“ geht es aber um weitaus mehr als nur ein Wort. Es geht um diese verrückte Zeit der Mutter-Werdung. Die beiden Autorinnen untersuchen sie nach allen Regeln der Wissenschaft, sezieren aber auch ihre eigenen Erfahrungen. Dadurch ist „Muttertät“ ein super lesenswertes Buch, sowohl wissenschaftlich als auch persönlich, das ich euch sehr ans Herz legen kann.

Übrigens durften zwei Expertinnen, eine Hebamme und eine Mütterpflegerin, kleine Anmerkungen zu den verschiedenen Kapiteln machen. Die Mütterpflegerin ist Tanja Heinrich. Die Hebamme … ratet.

Aber genug der einleitenden Worte, denn die Autorinnen haben mir für den Hebammenblog einen kleinen Einblick in die Erkenntnisse aus dem Buch zur Verfügung gestellt, worüber ich mich sehr freue und wovon ihr nun profitiert.

Hier kommt der Gastartikel von Svenja Krämer und Hanna Meyer.

Warum es Sinn macht, den Prozess des Mamawerdens als „Muttertät“ zu benennen.

Eine Frage, an der Frauen in der Schwangerschaft selten vorbeikommen, ist die Frage nach dem Namen des ungeborenen Kindes. Nach der Geburt findet oft der erste Gang zum Amt statt, um den sorgfältig gewählten Namen zu melden. Et voilá: Das Kind ist benannt und hat den ersten offiziellen Schritt zur eigenen Identität unternommen.

Auch das Mamawerden ist eine Entwicklungsphase: Matrescence

Durch eine Schwangerschaft und Geburt steckt auch die Mutter inmitten einer Entwicklungsphase. Dass eine Frau nicht auf einen Schlag zur Mutter wird, sondern dass es sich stattdessen um einen Prozess handelt, macht der Begriff Matrescence deutlich. In Anlehnung an das Wort Adolescence bezeichnet er den Prozess des Mamawerdens mit all seinen tiefgreifenden Veränderungen, die an den umfassenden Entwicklungsprozess erinnern, wenn Kinder zunächst zu Jugendlichen und dann zu Erwachsenen heranreifen. In dieser Zeit entsteht eine neue Persönlichkeit. Dadurch, dass diese Phase bekannt und benannt ist, besteht Verständnis für die besondere Verletzlichkeit während dieser Phase und zu ihren Verrücktheiten. Der Begriff Matrescence, den die Anthropologin Dana Raphael bereits 1975 geprägt hatte, wurde mittlerweile in die Psychologie und Mütterforschung überführt und hat es sogar in das Cambridge Wörterbuch geschafft. 

In Deutschland fehlt die Benennung des Prozesses

Im deutschsprachigen Kontext fehlt bisher eine offizielle Bezeichnung für die Phase des Mamawerdens. Die Phase hat keinen einheitlichen Namen im gesellschaftlichen Diskurs, sie findet keine Erwähnung im Wörterbuch und wird daher von Müttern und ihrem Umfeld kaum benannt und erkannt. Eine Benennung ist allerdings enorm wichtig, um sie zu erkennen, sich mit ihr auseinanderzusetzen und sich in ihr zurechtzufinden. In der Phase des Mutterwerdens entsteht eine neue Identität und dies kann eine erhöhte (psychische) Vulnerabilität mit sich bringen. Neben all den wundervollen Erfahrungen, die eine Mama mit ihrem Baby und als Familie machen darf, kann die Phase des Mamawerdens allerdings auch irritieren, überraschen und erschrecken. Viele Frauen fragen sich, wer sie eigentlich sind. Gleichzeitig steuern Mütter durch diese sensible Phase aufgrund der fehlenden Bezeichnung oftmals ohne Vokabular für das, was mit ihnen vor sich geht.

Muttertät benennt, was viele nicht sehen

Der Begriff Muttertät soll Abhilfe schaffen! Die Doulas Natalia Lamotte und Sara Galan haben den Begriff in Anlehnung an den Begriff Pubertät in den deutschsprachigen Diskurs eingeführt. Aus Matrescence wie Adolescence wurde Muttertät wie Pubertät – der Begriff verdeutlicht, wie tiefgreifend der Prozess des Mamawerdens ist: Das komplette Leben verändert sich, und zwar gewaltig! Das Leben steht auf dem Kopf. Es ist buchstäblich ver-rückt. Und das fühlt sich komisch an und darf eine Mama irritieren!

Mit einer Schwangerschaft oder der Ankunft eines Kindes verändert sich für eine Frau so ziemlich jede Säule ihres Lebens. Allerdings sind nicht sämtliche Aspekte sichtbar. Muttertät bezieht sich insbesondere auf folgende fünf Ebenen, in denen eine Frau auf der Reise zur Mutterschaft eine Veränderung erfährt:

  • körperlich
  • psychologisch
  • zwischenmenschlich
  • beruflich
  • spirituell

Veränderung auf fünf Ebenen

Die Veränderungen auf fünf Ebenen zu betrachten, hat einen enormen Vorteil: Es schafft etwas Ordnung in einem Chaos an verschiedenen Veränderungen.

Die körperliche Ebene

Auf der körperlichen Ebene kommt es nicht nur zu dem für alle sichtbaren Anwachsen des Bauches über neun Monate. Hinter der körperlichen Transformation passiert so viel mehr, als das Wort Rückbildung vermuten lässt. Viele Frauen entwickeln ein anderes Bewusstsein für den eignen Körper, lernen ihn neu kennen und mehr schätzen als zuvor.

Die psychologische Ebene

Auf der psychologischen Ebene durchlaufen Frauen in ihrer Mutterschaft oftmals die größten Veränderungen, denn das Gehirn von Müttern reorganisiert sich, d.h. es verändern sich Anatomie und Funktion von Synapsen, Nervenzellen und Hirnarealen: Ein Fürsorgenetzwerk entsteht, durch das Frauen ihre Rolle als Mutter besser wahrnehmen können. Außerdem entsteht durch die Rolle als Mama eine neue Identität. Facetten der alten Identität, welche die Frau noch vor ihrer Mutterschaft ausmachten, können hingegen verschwinden. Es folgt ein längerer Prozess, in dem die zwei Identitäten miteinander verwoben werden und eine neue Persönlichkeit (nun mit Kind) entsteht – ähnlich wie in der Pubertät.

Die Beziehungsebene

Auch die Beziehungsebene hält Veränderungen während der Muttertät bereit. Allen voran: die Familie erhält Zuwachs, eine neue Dynamik entsteht und die Rollen in dem neuen Gefüge dürfen erst gefunden werden. Auch über die Kernfamilie hinaus kommt es zum Wandel: Die Eltern der Eltern sind nun Großeltern und müssen ebenso erst in den Rollen ankommen. Und schließlich können sich auch die Freundschaften und Bekanntschaften verändern, auch wenn „frau“ sich ganz fest vorgenommen hatte, für ihre Freundinnen „die alte“ zu bleiben.

Die berufliche Ebene

Die berufliche Ebene betrifft schon allein aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zum Mutterschutz einen Großteil der berufstätigen Frauen, die zwangsläufig eine berufliche Pause einlegen müssen. Darüber hinaus kann es zu einem Wandel der beruflichen Identität durch die Mutterschaft kommen, wenn der Job neu bewertet wird. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann in Entscheidungen einspielen und Unsicherheit auslösen.

Die spirituelle Ebene

Zuletzt kann es im Rahmen der Muttertät bei Frauen zu einer Veränderung auf der spirituellen Ebene führen. Frauen berichten von erhöhter Achtsamkeit, dem Erfahren bedingungsloser Liebe oder einem neuen Grad an Empathie. Schwangerschaft und Mutterschaft können allerdings auch ein Lebensereignis darstellen, welches – wie jeder andere essenzielle Umbruch im Leben – in der Entwicklungspsychologie als Krise bezeichnet wird. In diesem Kontext kann Spiritualität als Bewältigungsstrategie herangezogen werden.

Viele Bereiche des Lebens einer frisch gebackenen Mama unterliegen einem Wandel – dieser kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und entsprechend wird die Muttertät auch von Frauen unterschiedlich stark empfunden. Gefühle wie Verunsicherung, Ambivalenz und Frustration sind Gefühle, die für die Phase der Muttertät sehr typisch sind und die aufgrund der gesteigerten Sensibilität stärker ausgeprägt sein können als zuvor. Sie sind ebenso wie Liebe, Freude, Stolz und Begeisterung in den ersten beiden Jahren nach der Geburt eines Kindes völlig normal, allerdings scheint darüber lediglich weniger gesprochen zu werden.

Wissen über Muttertät macht einen Unterschied

Wir Autorinnen des Buches „Muttertät – Wenn sich plötzlich alles anders anfühlt“ glauben fest daran, dass ein Wissen um die Phase der Muttertät samt ihrer Tücken Frauen (wie auch ihrem Umfeld) in dieser wichtigen Lebensphase unterstützen kann. Es hilft dabei, die Veränderungen besser zu verstehen und sich selbst gegenüber Verständnis zu zeigen. Genauso ist es uns ergangen: Wir konnten die eigenen Erfahrungen und neuen Empfindungen, die in den ersten beiden Jahren mit Kind sehr herausfordernd waren, viel besser einordnen und bewerten. Es hat uns außerdem enorm erleichtert zu wissen, dass es sich um eine Phase handelt. Wir möchten anderen Mamas auf ihrer Motherhood Journey durch die Muttertät Mut machen! Schließlich gilt nicht nur für die Entwicklungsschübe des Kindes, sondern auch für die Phase der Muttertät für die Mamas: Alles ist nur eine Phase und die hat auch mal ein Ende!

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Das Muttertät-Buch

Vielen Dank für diesen schönen Einblick in euer Werk.
Das Buch “MUTTERTÄT – Wenn sich plötzlich alles anders anfühlt.” ist im MVG-Verlag erschienen und kann hier:

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oder natürlich bei eurem Lieblingsbuchladen erworben werden.

Softcover, 256 Seiten
Erschienen: November 2022
ISBN: 978-3-7474-0485-0

Und…? seid ihr schon in der Müttertät (gewesen?)

Und jetzt bin ich gespannt, ob ihr das Wort Muttertät schon ein wenig ins Herz geschlossen habt, oder ob ihr so gar nichts damit anfangen könnt. Sagt mal!

Raphael, D. (1975). Matrescence, Becoming a Mother, A »New/Old« Rite de Passage. In: Being Female. Reproduction, Power, and Change. De Gruyter Mouton, S. 65–71; Cambridge University Press (2022). DOI:10.1515/9783110813128.65

Matrescence – aus dem Cambridge Advanced Lerner’s Dictionary and Thesaurus. [zuletzt abgerufen: 20.11.2022]

Galan, S. & Lamotte, N. (2021). Muttertät: Die Wandlung von der Frau zur Mutter – wie die Pubertät? StadtLandMama. [zuletzt abgerufen: 29.06.2022]

Gritters, J. (2020). This Is Your Brain on Motherhood. The New York Times. [zuletzt abgerufen: 29.06.2022]

Sacks, A. (2018). Reframing ›Mommy Brain‹. The New York Times. [zuletzt abgerufen: 29.06.2022]

Babetin, K. (2020): Sharing Space. The Birth of a Mother: A Psychological Transformation. Journal of Prenatal and Perinatal Psychology and Health 34 (5), S. 410–428.

Braun, S. & Hey Sister (2022). Willkommen in der Muttertät. [zuletzt abgerufen: 29.06.2022]

Athan, A. (o. J.). What is Matrescence? [zuletzt abgerufen: 29.06.2022]

Athan, A. & Miller, L. (2005). Spiritual Awakening Through the Motherhood Journey. Journal of the Association for Research on Mothering 7 (1), S. 17–31. [zuletzt abgerufen: 29.06.2022]

Athan, A. & Milller, L. (2013). Motherhood as Opportunity to Learn Spiritual Values: Experiences and Insights of New Mothers. Journal of Prenatal and Perinatal Psychology and Health 27 (4), S. 220–253.

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Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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4 Kommentare
  1. Avatar
    Anne sagte:

    Liebe Jana,

    mit dem Begriff “Muttertät” kann ich rein gar nichts anfangen.
    Jede Frau ist in einem permanenten Änderungsprozess und wird sind immer irgendwo dazwischen befinden: zwischen Beruf und Kind – zwischen Mutter und Geliebter – zwischen 30 und 40 Jahren – zwischen alt und jung – zwischen Berufsanfänger und Berufserfahrener – zwischen Kind und Oma. Wenn jede Veränderungsphase benannt werden muss, dann hat das irgendwas industriell – männliches. Ich bin für die vielen Wörter die es bereits gibt: Schwangere, Mutter, Abteilungsleiterin, Oma, Jugendliche, ….
    Die Zeiten dazwischen muss man einfach ERLEBEN und ein Name dafür hilft nicht viel weiter.

    Und ja: ich bin Mutter

    Antworten
    • Avatar
      jana sagte:

      Na klar, das darf Jede für sich entscheiden.
      Allerdings kann ich nicht verstehen, warum es männlich sein sollte, diese Phase zu benennen. Ganz im Gegenteil. In unserer, immer noch sehr Männer-dominierten Welt, schafft eine Benennung von “Frauenthemen” mehr Sichtbarkeit und Wichtigkeit, finde ich.
      Aber Danke für deine Sichtweise.
      Liebe Grüsse
      Jana

      Antworten
  2. Avatar
    Willi sagte:

    Danke für den Artikel, mir hat es sehr geholfen, genau so fühlt es sich an und war so schwer zu begreifen für mich – dabei hilft ja ein “Begriff” wortwörtlich. Leider finde ich das Wort Muttertät nicht so schön. Pubertät ist ja auch ein merkwürdiges Wort.

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