Mein Hebammen-Indonesien-Abenteuer: Im Krankenhaus (6)

Dies ist der sechste Teil der Artikelserie über mein ganz persönliches Hebammen-Indonesien-Abenteuer im Sommer 2019. Nachdem ich die erste Woche in der Uni verbrachte und mich vor allem mit der Theorie der indonesischen Geburtshilfe beschäftigte, sollte es jetzt im Krankenhaus konkret und praktisch werden. Aber vorher gab es noch eine kleine Geduldsprobe für mich.

Geduld ist eine Tugend…

Endlich war es soweit. Ich sollte die Möglichkeit bekommen, im Krankenhaus zu hospitieren. Am Tag zuvor bekam ich einen blauen Kassak plus dazugehöriger Hose, worin ich mich fast schon so wie zu Hause in meinem Kreißsaal fühlte.

Um 7 Uhr würde die Schicht beginnen. Ich stand also früh auf, machte mich fertig und harrte der Dinge, die da kommen würden. Putri ließ es langsam angehen. Obwohl sie sagte, dass wir um 6.45 Uhr los müssten, frühstückte sie um kurz vor 7 noch ganz gemütlich.
Gegen 7.15 Uhr stiegen wir dann ins Auto. Herna, die Unifachbereichsleitung für Hebammenkunde, sammelte uns ein. Also diese asiatischen Zeitangaben verstehe ich noch nicht so ganz. Wir nahmen noch eine weitere Studentin mit, die mit mir zusammen Dienst haben sollte.

In der Klinik angekommen, setzten wir uns erst in einen Wartebereich. Auf meine Frage, worauf wir denn warten würden, bekam ich nur die Antwort: „Auf die verantwortliche Koordinatorin.“ OK.
Eine halbe Stunde später klingelte Hernas Handy und sie bedeutete uns mitzukommen. So gelangten wir in einen anderen Wartebereich. „Was passiert jetzt?“, wollte ich wissen. „Wir warten.“, war die sehr aussagekräftige Antwort. Also warteten wir weitere 30 Minuten. Dann machte die Verantwortliche ein Foto von mir (mit ihrem Handy) und verschwand, um mir einen Klinikausweis zu besorgen. Und wir… genau – wir warteten.

Unglaubliches Onboarding

Irgendwann kam dann eine andere Frau, die mich in ihr Office holte, wo ich plötzlich einen Test schreiben sollte. Einen Test, bei einer Hospitation?
Es stellte sich heraus, dass es Fragen zur Hygiene waren (kein Problem), zu Notfallszenarien (joa, die waren schon sehr Indonesien-spezifisch), zur Krankenhaushierarchie in diesem konkreten Krankenhaus (keine Ahnung, wie die ganzen Vorsitzenden hier heißen). Glücklicherweise stand mir – wie immer – Putri zur Seite, die für mich übersetzte. Bei den Fragen, die ich beim besten Willen nicht beantworten konnte, sagte sie dann immer: „Vielleicht möchtest du hier „B“ ankreuzen?“, oder so. Das war schon echt seltsam.

Kleine Schulung im Krankenhaus von Medan

Dann wurde mir eine Powerpoint-Präsentation über das glorreiche Krankenhaus gezeigt. Also wirklich total verherrlichend. Nachdem alles fertig war, gab es wie immer: Fotos.

Hebammen-Arbeit im Krankenhaus von Medan

Als wir auch damit fertig waren, mussten wir – genau, natürlich warten.
Irgendwann kam mein Ausweis. Mein Name war schon wieder falsch geschrieben („Frieddrich“), aber ich verzichtete weise auf die Reklamation.

Mein Krankenhaus-Ausweis mit Tippfehler

Jetzt ging es ein Stockwerk höher. Dort lernte ich die „Case-Managerin“ kennen. Sie erklärte mir nochmals in welch wunderbarem Krankenhaus ich da gelandet sei. Ich bekam also nochmal alle Infos der Präse, jetzt aber mündlich. Alles klar, jetzt hab ich’s ganz sicher gechecked. Die unausweichliche Fotosession ließ ich über mich ergehen und wir mussten natürlich wieder kurz warten.

Als nächstes ging es immerhin auf die Station, wo wir mit vier Schwesternschülerinnen und einigen Krankenschwestern im Schwesternzimmer geparkt wurden. Wir versammelten uns um den Tisch und – nach einiger Zeit des Wartens – bekam ich NOCHMALS einige Fakten über das Krankenhaus zu hören.
Allen Ernstes wurde ich gefragt, ob ich denn noch Fragen hätte. Nee, alles klar. Ich kann die Informationen mitsingen, mittanzen und verstehe sie quasi schon auf Indonesisch! Das habe ich natürlich nicht gesagt, sondern brav gelächelt. Und: Selfietime!!!

Vor der Tür kam ein Typ vorbei (vielleicht ein Arzt?) – vorgestellt wurde er mir nicht – aber er musste dringend auch nochmal mit auf‘s Foto. Dann machten wir noch Fotos mit der ganzen Belegschaft. Ich war innerlich kurz vorm Ausrasten und fragte mich zwischendurch auch immer: Haben die eigentlich alle nüscht zu tun? Später merkte ich: bei allen Problemen, die es hier gibt, Personalmangel ist keins davon.

Das Krankenhaus-Team in Medan

Eine gefühlte Ewigkeit später verabschiedete mich Herna und endlich gingen Putri, Sonja (die andere Hebammenstudentin) und ich, mit einer der Schwestern auf die Station. Yeah!
Dort sollten wir erst mal warten. Ich befand mich irgendwo zwischen Rebellion und Resignation, als die Schwester endlich wiederkam und uns zu einer Visite mitnahm.

Level-1-Krankenhaus auf Indonesisch

Es handelte sich um ein Krankenhaus der höchsten Versorgungsstufe. Dementsprechend werden hier alle Risikoschwangeren und Wöchnerinnen der Region behandelt. Hierher kommen also Frauen mit Verdacht auf Präeklampsie, Diabetes (wenn er denn erkannt wird – getestet wird das nicht standardmäßig), HIV, Hepatitis, mit dehiszenten (also aufgegangenen) Sectionarben, und so weiter.
Dazu muss man wissen: Es gibt vier Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft. An den Fahrstuhltüren des Krankenhauses wird dafür geworben, sie wahrzunehmen:

Vorsorge-Aufklärung im Krankenhaus in Medan

Die Vorsorgeuntersuchungen werden (wie bei uns) von einem Gynäkologen (sind hier wirklich fast immer Männer), oder einer Hebamme durchgeführt. Wenn dabei aber etwas festgestellt wird, wie z.B. Diabetes, dann ist es oft so, dass die Frauen, statt sich behandeln zu lassen, eben den Behandler wechseln. Denn sie glauben dann, man hätte ihnen etwas böses angehext. Also nicht sie hat ein Problem, sondern der oder die behandelnde Person ist böse – Aberglaube, also. So werden Schwangerschaftserkrankungen eben teilweise auch nicht behandelt, obwohl es durchaus möglich gewesen wäre.

In der Klinik gibt es eine Drei-Klassen-Betreuung (je nach Bezahlung – versichert sind natürlich nicht alle). In der dritten Klasse fingen wir an:
Es sind 6-Bett-Zimmer, in dem die Betten nur mit Vorhängen voneinander abgetrennt sind. Neben jedem Bett steht ein Stuhl für Angehörige und ein kleiner Nachttisch.

Ein Krankenhaus-Bett in Medan

Eine Toilettenkabine befindet sich in der Ecke des Raumes. Wie überall in Indonesien werden die Genitalien nach dem Toilettengang auch hier mit Wasser abgewaschen. In jeder Toilette steht also ein Bottich oder ein gemauertes Wasserbecken bereit, in dem eine Schöpfkelle schwimmt. Diese fischt man mit rechts heraus und wäscht sich mit links. Dann wird sie zurück ins Becken gelegt. Nach dem Essen (direkt mit der rechten Hand) macht man das anders herum. Dann greift man mit links ins Wasser, um die Kelle zu bekommen und die rechte Hand abzuwaschen. Eine Hand wird also immer in das Becken gesteckt. Das Wasser wird zwar immer wieder aufgefüllt, verbleibt aber recht lange im Becken. Harnwegs- und Blasenentzündungen sind ein großes Problem in Indonesien. Zumal nicht überall das Wasser so sauber aus dem Hahn kommt, wie in diesem Krankenhaus.

Schränke gibt es nicht. Die Taschen der Frauen stehen draußen auf dem Laubengang, der hinter den Zimmern entlang läuft. Dort sitzen weitere BesucherInnen, die hier essen, schlafen oder einfach warten. Alles ist so semi-sauber. Auf den Gängen huschen auch Kakerlaken zwischen den Essens-Abfällen entlang.

Die 3. Klasse im Krankenhaus von Medan

Von den sechs Frauen hatten vier jeweils Kaiserschnitte, eine Frau hatte eine Spontangeburt und dann gab es noch eine weitere mit vorzeitigen Wehen in der 29. Schwangerschaftswoche.
Eine der „Sectio-Frauen“ bekam Bluttransfusionen bei einem HB von 6,5. Die Nächste hatte die schrecklichste dehiszente Narbe, die ich je gesehen habe. Wir assistierten beim Spülen und Verbandswechsel. Die anderen Frauen waren auf einem guten Weg.

Kein Rooming-in

Sehr traurig fand ich, dass die Kinder von den Müttern isoliert waren. Kein Rooming-In. Auf meine Nachfrage hin wurde das mit der erhöhten Infektionsgefahr für die Kinder begründet. An einem der nächsten Tage sollte ich noch einen anderen Grund dafür herausfinden, warum die Kinder im Kinderzimmer “unter Verschluss” gehalten wurden… (mehr dazu im nächsten Teil).
Die Babys wurden, wie bei uns vor 25 Jahren, nur zum Stillen gebracht. Aber die Stillrate ist niedrig. Auf einigen Nachttischen standen Milchpulvertüten und auch Fläschchen.

Hohe Sectioraten

In der zweiten Klasse waren die Verhältnisse ähnlich. Hier standen allerdings „nur“ vier Betten. Zwei der Frauen waren HIV-positiv. Eine Frau hatte früher schon mal eine Sectio, die andere wartete auf ihre erste. Die beide anderen Frauen waren ebenfalls sectioniert worden. Warum? Die Sectiorate liegt hier bei 70-80%. Wer es sich leisten kann, der nimmt eine Sectio. Wer Angst vor der Geburt hat, lässt sich auch sectionieren, denn Schmerzmittel gibt es bei einer Spontangeburt nicht. Und alle Frauen, die „Zustand nach Sectio“ sind, bekommen auch beim nächsten Kind einen Kaiserschnitt. VBAC (vaginal birth after cesarian) gibt es nicht. HIV ist natürlich auch ein häufiger Sectiogrund.
Mit einer der Krankenschwestern sprach ich über die hohe HIV-Rate. Sie war ganz ratlos, warum das so sei, schließlich seinen doch alle verheiratet. – !
Zwei der vier Frauen sollten entlassen werden und bekamen noch eine kleine Gesundheitsaufklärung: Sie sollen nach drei Tagen nochmal zur Kontrolle kommen, und sich nicht so anstrengen. Das war die Hauptmessage. War der Mann dabei, wurde ihm auch gesagt, dass seine Frau Schonung braucht.

Dammschnitt für Alle

Dann ging es in die erste Klasse: Zwei-Bett-Zimmer. Die Frauen haben einen kleinen Schrank, sowie einen Minikühlschrank. Sonst gibt es keine für mich ersichtlichen Unterschiede. Auch hier waren die Babys nicht bei ihren Müttern.
Ich traf hier die zweite Frau nach Spontangeburt. Sie strahlte mich stolz an, denn schließlich ist das hier etwas Besonderes. Übrigens bekommen hier generell alle Erstgebärenden einen Dammschnitt. Auch hier sollte ich erst später rausfinden warum.

Warten auf das Ende

Ja, und dann: gingen wir in ein weiteres Büro, tranken ein Wasser und warteten die restliche dreiviertel Stunde auf das Ende der Schicht. So richtig ergiebig war das ja heute alles noch nicht. Ich hoffe morgen flutscht es etwas besser.

To be continued

War ich jetzt mega empfindlich? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich bei uns in Deutschland am Einweisungstag so viel rumsitzen musste, bis es mal losging. Aber für Bürokratielosigkeit sind wir ja auch nicht gerade berühmt, oder?

Im nächsten Teil dieser Artikelserie nehme ich an Visiten und Untersuchungen Teil und lerne Malika kennen – ein kleines Mädchen, das seit vier Monaten im Krankenhaus festgehalten wird.

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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2 Kommentare
  1. Avatar
    Julia sagte:

    Danke für deine Berichte aus Indonesien – sie sind wirklich superspannend. Das sind die Patientenzimmer, für die Geburten selbst gibt es noch extra Kreißsääle, oder? Wie lange bleiben denn die Frauen nach der Geburt ungefähr im Krankenhaus?

    Antworten

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