Geburtshilfe in Deutschland im Jahre 2017- Wahljahr!

Geschlossene Kreißsäle, Geburten im Auto & Verletzungen der Hinzuziehungspflicht, katastrophale Zustände in der Geburtshilfe – Immer wenn man denkt, es kann nicht schlimmer werden, kommt Murphy!

Geschlossene Kreißsäle

Durch den Trend zur Zentralisierung und den gleichzeitig beginnenden Hebammenmangel, schließen vor allem kleinere Kliniken ihre geburtshilflichen Abteilungen. Viele Regionen sind mittlerweile ganz ohne Kreißsaal. Die Wege für die Schwangeren werden weiter und weiter.

Jetzt bekommen die verbliebenen Häuser mit Geburtshilfe (oh Wunder, oh Wunder) Probleme damit, die vielen Geburten aufzufangen. Zusätzlich schwinden die Hebammen weiter. Das führt zu weiteren Schließungen oder anderen kreativen “Lösungen“. Hier mal nur die aktuellsten:

Auch hier in Berlin werden immer häufiger temporäre Aufnahmestopps verhängt. Frauen werden dann in eine andere Klinik weitergeschickt. Meist einfach im eigenen PKW. Mal klappt das, mal steuern sie mehrere Kliniken an, bevor sie irgendwo eingelassen werden, und mal passiert:

Eine Geburt im Auto

Natürlich ist eine Geburt im Auto eher noch die Ausnahme. Und glücklicherweise ist auch diesmal wieder alles gut gegangen. Moment – ist es das? Die Mutter zumindest ist immer noch im emotionalen Ausnahmezustand. Schon ihr erstes Kind hatte sie auf einer Pritsche auf die Welt bringen müssen. Dieses Mal hatte sie sicher gehofft, eine schönere Geburt zu erleben. Und dann das…
Kreißsaal belegt, Geburt im Auto – Was Hebammenmangel wirklich bedeutet
Zusätzlich kommt es immer häufiger zu:

Verletzungen der Hinzuziehungspflicht

Im Hebammengesetz heißt es in Abschnitt 2 unter “Vorbehaltene Tätigkeiten § 4“:

(…)Die Ärztin und der Arzt sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß bei einer Entbindung eine Hebamme oder ein Entbindungspfleger zugezogen wird. (2) Geburtshilfe im Sinne des Absatzes 1 umfaßt Überwachung des Geburtsvorgangs von Beginn der Wehen an, Hilfe bei der Geburt und Überwachung des Wochenbettverlaufs.

Das gilt für eine jede Geburt, ob es sich um eine spontane, eine assistierte, oder eine Kaiserschnittgeburt handelt. Eine Hebamme muss anwesend sein. Aus Gesprächen mit Kolleginnen weiß ich, dass diese Hinzuziehungspflicht, besonders bei Kaiserschnitten, aber auch zunehmend bei Spontangeburten derzeit immer öfter missachtet wird. Manchmal passiert das, weil zu wenige Hebammen, für zu viele Geburten zuständig sind. Da kann es dann sein, dass die Hebamme, kurz vor der Geburt des Köpfchens akut den Kreißsaal verlässt, wie z.B in diesem Bericht beschrieben wird.
Wenn so etwas häufiger vorkommt, ist das nicht nur eine wiederholte Verletzung der Hinzuziehungspflicht, sondern ein Organisationsverschulden.

In Berlin klagt nun wohl eine Frau, die zufällig merkte, dass die beiden, bei ihrer Geburt anwesenden Frauen, Ärztinnen und nicht etwa eine Ärztin und eine Hebamme waren. Sie hatten sich nur mit Namen, nicht aber mit ihrer Profession vorgestellt. Erst auf Nachfrage kam die Wahrheit ans Licht. An dem Tag war keine einzige Hebamme im KRS anwesend. Eigentlich hätte der Kreißsaal an dem Tag schließen müssen. (Ich kann die Quelle derzeit leider noch nicht nennen, aber ich arbeite daran.*)

Was bedeutet das für die Geburtshilfe?

Es bedeutet, dass Gesetze gebrochen und Gesundheit gefährdet wird. Und zwar systematisch. Es bedeutet, dass Geburtshilfe im Jahr 2017 in Deutschland nicht mehr sicher ist. Zumindest nicht überall. Es bedeutet, dass der Wert von Frauengesundheit in unserer Gesellschaft immer geringer geschätzt wird.

Wahljahr 2017

„Wie wollen sich die einzelnen Parteien künftig für die hebammenspezifischen Interessen (und damit für die Frauengesundheit a.d.R.) und Belange einsetzen? Um das herauszufinden, hat der Deutsche Hebammenverband e.V. (DHV) allen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien die Wahlprüfsteine vorgelegt.“ – 29.3.17 DHV

Die Antworten der Parteien gibt es hier (jeweils verlinkt – via DHV):

  • Bündnis 90/Die Grünen
  • Die Linke
  • CDU/CSU
  • SPD
  • FDP

(Nachtrag Januar 2018: Die Antworten sind leider online nicht mehr verfügbar.)

Die Süddeutsche Zeitung lieferte bereits mit „was die Parteien für Schwangere tun wollen“ eine Kurzinterpretation:

„Obwohl Politiker nicht müde werden, die Bedeutung von Familien und Kindern für das Land zu betonen, spielen die Belange werdender Mütter und ihrer Kinder offenbar keine große Rolle. Union und SPD schneiden das Thema in ihren Wahlprogrammen lediglich kurz an und betonen in knappen Sätzen, dass die Arbeit der Hebammen gestärkt werden müsse. Immerhin etwas konkreter werden Grüne und Linke, die detaillierte Vorschläge in ihre Programme aufgenommen haben. Auch FDP und AfD mahnen in ihren Programmen mehr Unterstützung an. (…)

Der Verband fordert, dass jede Frau während der Geburt von einer Hebamme begleitet wird. Von einem solchen Eins-zu-eins-Betreuungsschlüssel halten CDU, CSU und SPD wenig. Die Union notiert dazu kühl, dass jedes Krankenhaus selbst für die Personalplanung zuständig sei. Die SPD schlägt vor, dass in Teilzeit arbeitende Hebammen ihr Arbeitspensum aufstocken sollten. Anders Grüne und Linke: Beide halten eine Eins-zu-eins-Betreuung von Gebärenden für nötig.“

Es liegt in unserer Hand, im Herbst Entscheidungen zu treffen. Vielleicht sollte es dieses Mal eine buchstäbliche Bauchentscheidung werden.

 

*Nachtrag (15.9.):
Inzwischen konnte ich mit Hebammen und ärztlichen Kolleginnen aus dem Kreißsaal des Neukölner Krankenhauses sprechen, die mir den Vorfall bestätigten. Es sei kein Einzelfall. Ein korrekt mit Hebammen besetzter Dienstplan würde momentan am 20. eines Monats enden, wurde mir gesagt. So schlecht sei die Besetzung. Momentan werden Frauen, die sich dort bereits zur Geburt angemeldet hatten angerufen, um ihnen abzusagen.

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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6 Kommentare
  1. Avatar
    An sagte:

    Danke für Deinen klugen Artikel. Ja, ich werde im Herbst ganz sicher eine “Bauchentscheidung” treffen. Für mich ist, auch aufgrund meiner Erfahrungen bei der Geburt meiner zweiten Tochter im Februar 2017, das Engagement der Parteien für eine 1:1-Hebammenbetreuung unter der Geburt wahlentscheidend.

    Antworten
  2. Avatar
    Carmen sagte:

    Danke für diesen fundierten Artikel!

    Für mich wird es auch ein entscheidendes Thema bei der Bundestagswahl sein, da wir gerade dabei zusehen müssen, wie der Kreißsaal in Bingen am Rhein geschlossen wird. Hier arbeitet ein großartiges Hebammen-Team mit Herzblut, Achtsamkeit und Kompetenz. Leider findet man (angeblich) keinen Nachfolger für den einzigen Belegarzt.

    Am 15.08.2017 wird der Bundesgesundheitsminister das Krankenhaus besuchen und die Unterschriften aus dieser Petition überreicht bekommen. Hoffentlich höhlt steter Tropfen irgendwann den Stein….

    https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-geburtshilfe-in-bingen-am-rhein

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  1. […] Jana vom Hebammenblog hat zusammengestellt und verlinkt, was die einzelnen Parteien zur Situation der Geburtshilfe und Hebammen in Deutschland sagen. […]

  2. […] Hebammenblog hat wunderbar aufgeführt was die einzelnen Parteien zur Situation der Geburtshilfe in … […]

  3. […] ihre Babys bekommen können und wie sieht die Politik die gesamte Geburtsproblematik. Jana vom Hebammenblog hat sehr gut zusammengefasst was einzelne Parteien dazu denken und ich empfinde das als […]

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