Babyblues im Wochenbett

Die Tränen laufen, die Milch läuft, der Wochenfluss läuft, der Schweiß läuft und meine Wöchnerin schaut mich diesmal aus völlig verquollenen Augen an. Dieser Blick ist wie eine Mischung aus verwundetes Reh und peinlich berührt: Es ist Babyblues-Tag. Ich zücke eine Packung Taschentücher und setze mich zu ihr.

Der Babyblues – Ein Erklärungsversuch

Mit dem Geburtstag des Kindes beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Grade erst ist die Geburt – oft eine Grenzerfahrung – überstanden und aus einem Paar sind Eltern geworden. Dass die Verantwortung für einen neuen Menschen nun lebenslang da sein wird, realisieren Viele jetzt zum ersten Mal.
Zusätzlich wirkt das Neugeborene unendlich zart und zerbrechlich; die Euphorie der ersten Tage weicht Ängsten und Unsicherheiten. Heftige Hormonschwankungen der Wöchnerin kommen noch hinzu. Durch das Schlafdefizit und die neuen Routinen wie Wickeln und Stillen wirkt die Zeit auf einmal seltsam fließend.
Der Milcheinschuß wird von vielen Frauen als sehr unangenehm erlebt. An diesem Tag sind die Brüste sehr prall und berührungsempfindlich. Manchmal, wenn Frauen einen guten Milchspendereflex haben, läuft die Milch sogar ganz ohne Zutun aus den Brüsten.
Wöchnerinnen schwitzen in den ersten Tagen stark, da das eingelagerte Wasser – Ödeme adé! – nun ausgeschwemmt wird.
Der Wochenfluss ist in den ersten Tagen so stark, dass die Frauen ungefähr alle zwei Stunden zur Toilette gehen um die Binden zu wechseln.
Ganz ehrlich: das allein reicht doch eigentlich schon, um sich mal eine Woche lang vor aller Welt zu verstecken und heulend ins Kopfkissen zu beißen!
Doch als wäre es nicht schon genug des Schlimmen, erleben frischgebackene Mütter auch noch eine gewaltige, unberechenbare Welle der Emotionalität: Sie sind hypersensibel und sogar der Geruchssinn ist gesteigert.
Und nun erwartet die Umwelt eine ständig strahlende, glückliche, junge Mutter.
Eigentlich zum Heulen, oder?

Welchen Sinn hat der Babyblues?

Dass Wöchnerinnen so sensibel und „durchlässig“ sind, erhöht wahrscheinlich die Liebesbereitschaft für das Neugeborene. So wie auch die Geruchsempfindlichkeit dazu dient das Baby am Geruch zu erkennen und diesen gleichsam „auswendig“ zu lernen.
Durch das Weinen entspannt sich der Körper und kann die angestaute Anspannung abbauen. So finden die Frauen nach einem „Heultag“ oft endlich wieder einmal zu tiefem, erholsamen Schlaf. Das ist natürlich nur möglich, wenn jetzt auch der Partner mitspielt und Kind, Haushalt sowie Besuch in dieser Zeit in Schach hält.

Trifft das Alle?

Ungefähr 80% der Wöchnerinnen „leiden“ unter dem Babyblues, der oft am dritten Wochenbetttag beginnt. Dieser Zustand, der einen Tag bis zu ungefähr eine ganze Woche dauern kann, ist völlig normal und gehört zur Umstellung nach der Geburt.
Wenn du betroffen bist, lass dich nicht von deinen wirren Gefühlen verunsichern. Du musst weder jeden Tag überschäumend glücklich sein, noch dein Kind vom ersten Tag an abgöttisch lieben. Du bist trotzdem eine gute, ganz „normale“ Mutter!

Achtung: Depessionsgefahr!

In einigen Fällen (etwa 15%) kann dieser Zustand anhalten und gar extreme Formen annehmen. Dann ist eine ärztliche Abklärung, ob es sich um eine Wochenbettdepression handelt, dringend erforderlich.
Aber macht euch jetzt bitte nicht schon im Vorfeld verrückt!

Zurück zum armen Reh

Bei meinen Hausbesuchen mit Babyblues-Effekt hat es sich bewährt noch mal den Geburtsverlauf aufzurollen. Das ist auch ohne Babyblues eigentlich immer eine gute Idee, denn manchmal quälen sich die Frauen noch mit Ereignissen unter der Geburt herum, die sie nicht richtig verstanden, eingeordnet, oder verarbeitet haben.
Auch hilft es vielen Frauen zu wissen, dass sie mit dieser Erfahrung nicht alleine sind.
Und zu guter Letzt hilft es, wenn das Umfeld einfach sensibel reagiert und vor allem nicht zu sehr problematisiert.

In diesem Falle brach das verwundete Reh – grade noch schluchzend – plötzlich in herzhaftes Lachen aus. Ihr Mann kam, ganz mitleidig guckend, ins Zimmer. Dann holte er plötzlich einen Spiegel hinter dem Rücken hervor. Als sie sich dann selber als Häuflein Elend sah, konnte sie sich vor Lachen nicht mehr halten.
Er kannte seine Frau gut! Ich würde diesen Trick aber nicht unbedingt zur Nachahmung empfehlen. 😉

 

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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6 Kommentare
  1. Avatar
    Lisa sagte:

    Diese beiden Sätze haben mir gerade sehr geholfen:

    Du musst weder jeden Tag überschäumend glücklich sein, noch dein Kind vom ersten Tag an abgöttisch lieben. Du bist trotzdem eine gute, ganz „normale“ Mutter!

    Danke!

    Antworten

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  1. […] Müttern auch alles zuviel. Sie weinen und lachen vor Glück und einige werden erstmal traurig. Baby-Blues. Solange dieser nicht anhält, bleibe gelassen […]

  2. […] weiß ich, dass ich keinen einfachen Baby Blues, sondern eine post-partale Depression hatte. Und dass es wirklich vielen Müttern so geht, genauer […]

  3. […] Termin. Und mein Pech wäre bloß geworden, dass mein Geburtstag auf den sogenannten „Heultag“ gefallen […]

  4. […] weiß ich: es geht wohl mehr Frauen so, als man denkt. Ich bin ein großer Fan des Hebammenblog.  Darin schreibt Jana […]

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