Mein Hebammen-Indonesien-Abenteuer: Evaluation (10)
Dies ist der zehnte und letzte Teil der Artikelserie über mein Indonesien-Abenteuer 2019. Nachdem ich zwei Wochen lang im Krankenhaus und in verschiedenen Midwife-Clinics mitgearbeitet habe, ging es in meiner letzten Woche nochmals zurück in die Uni zur Evaluation meiner Hospitation.
Zurück zum Campus
Die letzten Tage auf Sumatra verbrachte ich in der Uni. Wir arbeiteten noch einmal im Skills-Lab. Anhand der Videos und Fotos, die man ständig von mir machte, konnten die Dozentinnen teils große Unterschiede im Handling identifizieren, und so wurde ich nun ganz genau befragt, warum ich bestimmte Dinge so und nicht anders handhabe.
Dammschutz-Diplomatie
Ich demonstrierte nochmal unsere Art des Dammschutzes (mit warmem Wasser, Kopf-bremsen und „Hecheln“). Dabei betonte ich vor allem, dass dieser ja überhaupt nur dann nötig sei, wenn die Frau das Kind nicht ohnehin ganz von selbst sanft und kontrolliert gebären würde. Ich informierte sie darüber, dass es durchaus Frauen gibt, die das tun, und es uns darauf ankommt, den natürlichen Pressdrang abzuwarten, also dem Körper das Kommando dazu selbst zu überlassen.
Damit stellte ich natürlich das hier praktizierte Powerpressen deutlich in Frage. Es war ein bisschen ein Eiertanz, denn ich wollte die Situation für die Frauen gerne verbessern, aber gleichzeitig auch meine Gastgeberinnen nicht beschämen. Es soll ja auch niemand sein „Gesicht verlieren“.
Ich versuchte also sehr wertschätzend und konstruktiv einige Ideen von sanfterer und natürlicherer Geburt zu lancieren. Hier muss natürlich gesagt werden, dass das auch bei uns nicht immer so perfekt läuft, aber eben viel, viel besser, als ich das in Indonesien erlebt habe.
Stillkuchen-Studie
Dann wurde noch eine von der Uni initiierte Studie vorgestellt. Es gibt in Asien eine als milchbildend geltende Pflanze namens Katuk (Sauropus Androgynus), auch bekannt als sweet leaf; im Deutschen wird sie als Spinatbaum oder Spinatbusch bezeichnet. Die Blätter kann man roh oder gekocht verzehren. Sie schmecken leicht nussig, wie junge Erbsen. Durch den hohen Chlorophyllgehalt sind sie stark grün färbend und werden in Indonesien gerne zum Färben von Pfannkuchen benutzt. Auch die Früchte sind essbar.
Fest steht, dass Katuk viel Eiweiß und Eisen enthält. Das ist ja für Schwangere und Stillende gleichermaßen interessant. Aber ob Katuk einen direkten Einfluss auf die Milchbildung hat, ist eben die Frage. Vor einem übermäßigen Verzehr wird jedenfalls gewarnt, da es dann die Lungen schädigen soll – sagt das Internet.
Studiendesign
Die Uni hat also eine Studie durchgeführt, für die sie kleine Küchlein aus Katuk und weiteren Zutaten herstellte. Sie wurden Frauen gegeben, die stillen wollten und dann verglich man, wie schnell, wie gut und wie lange die Frauen im Vergleich zu Frauen ohne Katuk-Kuchen stillten.
Mhm… Habt ihr bei so einem Studiendesign jetzt auch so viele Fragezeichen im Gesicht, wie ich?
- Fehlende Randomisierung
Es ist anzunehmen, dass Frauen, von denen man bereits weiß, dass sie stillen wollen, eher Angebote annehmen werden, die eine Stillverbesserung versprechen, als Frauen die dem Stillen gegenüber abgeneigt sind. Wenn den Kuchen also vor allem Frauen mit Stillintention bekommen, führt schon allein das zu einer Verzerrung der Untersuchungsergebnisse. - Keine Kontrollgruppe
Ohne eine Kontrollgruppe, die z.B. einfach nur mit Lebensmittelfarbe versetzen Kuchen (ohne Katukblätter) bekommt, wird man nicht wissen, ob vielleicht nur das zusätzliche Nahrungsmittel an sich geholfen hat.
Schade. Es hätte mich echt interessiert, ob die Blätter tatsächlich eine milchfördernde Wirkung haben. Das werde ich irgendwann nochmal recherchieren.
Evaluation
Dann hat die großartige Unidirektorin Siti Nurmawan Sinaga doch tatsächlich alle Hebammen aus den Clinics, in denen ich gearbeitet habe, in die Uni eingeladen, um meine Hospitation gemeinsam zu evaluieren. Die Direktorin ist wirklich eine wunderbare Frau und letztlich dafür verantwortlich, dass meinen Indonesien-Einsatz überhaupt geklappt hat. ♥
Vor der Evaluierung gab es zunächst eine kleine Rückschau. Ich wurde gefragt, wie ich die Geburtshilfe in Indonesien so fände und was mir besonders gut gefallen hat. Glücklicherweise hatte ich mir das schon zurechtgelegt. Ich nahm mir vor, zunächst Einiges zu loben, bevor ich Verbesserungsvorschläge anbieten würde:
- Ich lobte den großartigen, indonesischen Mutterpass.
Unten schreib ich gleich noch was dazu – das habe ich ja versprochen. - Dann führte ich an, wie gut Indonesien personaltechnisch ausgestattet ist.
Von bis zu drei Hebammen bei einer Geburt können wir in Deutschland ja wohl nur träumen. - Und die Stillschulungen für die Großfamilie fand ich ebenfalls sehr besonders.
Ich glaube, das wäre auch bei uns eine gute Idee, eben nicht nur jede einzelne Frau zu schulen, sondern auch ihr Umfeld, wenn sich das irgendwie organisieren lässt. Denn es ist ja bewiesen, dass wenn der Partner/die Partnerin die Frau unterstützt, sie eher und länger stillt. Und dass Verwandte auch bei uns oft einen (wie auch immer gearteten) Einfluss auf die Erziehung haben, das ist auch nicht von der Hand zu weisen.
Dann kam ich auf aufrechte Geburtpositionen zu sprechen, auf das Abwarten des natürlichen Pressdrangs und ganz allgemein auf eine etwas ruhigere und abwartendere Geburtsleitung.
Ich sprach auch noch vom Zusammenspiel der Hormone unter der Geburt und wie es gefördert werden kann: Zum Beispiel durch gedimmtes Licht, oder zarte Berührungen, wie die Light-Touch- oder auch „Gänsehaut-Massage“, die der Partner ausführen kann. Partnerinnen gibt es in Indonesien offiziell übrigens nicht, denn Homosexualität ist hier verboten. (Obwohl es auf Bali bekanntermaßen entsprechend einschlägige Clubs gibt.)
Die Massage probierten wir gleich nochmal aus. Dann werteten wir noch die Videos aus, so dass auch die Geburtshaushebammen die Gelegenheit bekamen, das Gesehene mit mir zu diskutieren. Am Ende tanzten wir alle den Labour-Dance.
Mutterpass
Unser deutscher Mutterpass ist ja ein Büchlein zur Dokumentation des Schwangerschaftsverlaufs und der Untersuchungsergebnisse. Er dient vor allem dazu, dass sich die verschiedenen BehandlerInnen einer Schwangeren jeweils ein Bild davon machen können, an welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft man sich gerade befindet, und wann, was und wo untersucht wurde, und welche Ergebnisse oder Besonderheiten vorliegen.
Der indonesische Mutterpass leistet das auch. Mit der Einschränkung, dass dort insgesamt weniger Vorsorgetermine stattfinden – nämlich in der Regel nur vier – und dass dabei insgesamt auch deutlich weniger Aspekte untersucht werden. Aber der indonesische Mutterpass ist gleichzeitig ein Aufklärungsbüchlein, in dem alle schwangerschaftsspezifischen Besonderheiten und empfohlenen Verhaltensweisen erläutert werden.
Zum Beispiel erklärt er, wie eine ausgewogene Ernährung aussehen kann. Er beschreibt Schwangerschaftserkrankungen, die einen Arztbesuch nötig machen und es finden sich darin grundsätzliche Hygienemaßnahmen, wie z.B. das Hände waschen. Auch die Vorteile des Stillens für Mutter und Kind werden erklärt. Die verschiedenen Möglichkeiten der Verhütung sind enthalten. Impfungen, Beikostregeln, Gefahrenquellen im Haushalt werden gezeigt. Sogar Kinderrechte, wie die gewaltfreie Erziehung, werden angesprochen. Und das Ganze in wenigen Worten und mit vielen Bildern, so dass auch Menschen, die nicht, oder nicht gut lesen können, keine Mühe haben zu verstehen, worum es geht. Das finde ich total toll!
Abschied & Fazit
Und dann war die Zeit auch schon um und ich packte meine Siebensachen.
Ich bin übrigens ein bisschen stolz darauf, dass ich die ganze Zeit über ganz locker mit meinem Handgepäckkoffer ausgekommen bin. Und dass, obwohl ich sowohl Geschenke mit-, als auch wieder welche zurückgebracht habe. Aber es ist ein warmes Land; was braucht man da schon?
Es wurde Zeit Abschied zu nehmen. Besonders meine Kommilitonin und Übersetzerin Putri, mit der ich ja die ganze Zeit über zusammenlebte, habe ich sehr ins Herz geschlossen.
Ich habe wirklich wunderbare Menschen kennengelernt und eine Gastfreundschaft erfahren, die ihresgleichen sucht.
Aber ich habe auch Zustände gesehen, die mich schockiert haben: Menschenrechtsverletzungen, Mangelernährung, Armut, schlechte Versorgungslagen, unzureichende Strukturen und Korruption.
Dankbarkeit
Zurückgekommen bin ich mit einem Gefühl von großer Wertschätzung für das, was wir haben und als selbstverständlich erachten: sauberes Wasser, erfüllte Grundbedürfnisse, Krankenversicherung, eine gute Versorgung, gut ausgebildete MedizinerInnen mit genügend Materialien und Medikamenten, gute Bildungsmöglichkeiten, soziale Strukturen, Arbeitslosengeld, Rente, Unterstützungsmöglichkeiten für Familien, …
Auch wenn ich die Geburtshilfe in unserem Land oft kritisiere und finde, dass da immer noch Einiges verbesserungswürdig ist, so ist doch unsere Situation mit ihren fast unbegrenzten Möglichkeiten, im Vergleich zu Indonesien, geradezu paradiesisch.
Mich hat es mit Demut erfüllt, mir vor Augen zu halten, dass ich allein durch meine Geburt in diesem Land einfach so unendlich viel bessere Chancen im Leben habe, als all die Menschen dort.
Aida-Sklaven
Ich habe einen jungen Taxifahrer kennen gelernt, der mir berichtete, dass er neun Monate des Jahres als Room-Boy auf der „Aida“ arbeitet. 10 bis 12 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, keinen freien Tag; und das für einen Netto-Stundenlohn von 2,- €. Moderne Sklaverei. Mindestlohn? Die Aida-Schiffe sind offiziell in Italien, Malta oder Panama angemeldet und unterstehen dadurch nur äußerst laschen Arbeitsgesetzen. (Auch bei dieser Geschichte war ich erst im Zweifel, ob das so stimmt, aber das haben auch schon Andere vor mir recherchiert und es ist tatsächlich so. Das könnt ihr beispielsweise auf Stern.de nachlesen.)
Und doch war dieser Mann glücklich über den guten Job, mit dem er seine Familie in Indonesien sehr gut unterstützen kann. (Zur Erinnerung: der Durchschnittslohn in Indonesien lag 2018 bei etwa 8,-€/Tag).
Hausmädchen
Wir Europäer werden von Indonesiern per se für unglaublich reich gehalten. So wurde ich oft von den Menschen gefragt, was ich denn für Hausangestellte habe. Auf meine Antwort, dass ich natürlich weder eine Köchin, noch ein Hausmädchen, noch jemanden für die Kinder habe, bekam ich sofort einige Angebote: „Ich möchte gerne mitkommen und für dich arbeiten. Ich bin ganz günstig. Ich brauche nur Kost und Logis und ein Taschengeld“. Von Mindestlohn hatte noch nie jemand etwas gehört.
Menschen mit Behinderungen
In einem Land, in dem viele an Karma und Wiedergeburt glauben, gelten Behinderungen als eine Strafe für begangene Missetaten. In den Straßen habe ich Menschen mit körperlichen Behinderungen oft „nur“ als Bettler wahrgenommen. Gelesen habe ich aber, dass vorwiegend geistig behinderte Menschen oft von ihren Familien in Käfigen, also unter den unwürdigsten Bedingungen, gehalten werden.
Was nehme ich mit?
Ich könnte hier noch ewig weitere, beeindruckende Beispiele aufzählen. Aber es reicht. Mir reichte es. Ich war dann – ehrlich gesagt – auch froh, wieder gehen zu können. Es hat mich belastet. Die ganze Zeit über. Diese ständige Konfrontation mit dem Leid.
Ich hatte Nachwehen, nach meiner Reise. Habe ich manchmal immer noch.
Und ich habe Vieles überdacht. Zum Beispiel meinen Umgang mit der Erde. Ja, ich weiß. Ich bin geflogen. Immerhin habe ich einen CO2-Ausgleich bei Atmosfair bezahlt.
Ich habe mein Flugpensum, wenn es denn so etwas gibt, jetzt auch erstmal ausgeschöpft und mir vorgenommen nun mehr Bahn zu fahren. Wie ich das mit meiner Verwandtschaft in Amerika mache, weiß ich jetzt noch nicht. Ein High-Tech-Segelboot habe ich nicht. Es bleiben wohl immer noch viele Fragen offen. Mein Auto habe ich vorletzte Woche immerhin schon mal verkauft.
Aber durch die Konfrontation mit der unglaublichen Vermüllung, die ich im zweiten Teil meiner Reihe beschrieben habe, bin ich jetzt noch viel motivierter als vorher, meinen Konsum einzuschränken und Alternativen für Verbrauchsmaterialien zu finden. Wie so viele andere, wunderbare Menschen arbeiten wir in der Familie nun sehr an Plastikfreiheit. Ich möchte nicht, dass mein Land seine Umweltsünden in fremde Länder exportiert. Wir leben alle auf derselben (einen!) Erde. Wo ist der Sinn?
Was möchte ich noch tun?
Noch viel mehr lokale Initiativen unterstützen. Und große Player, die die Umwelt und die Menschen ausbeuten, nicht noch unnötig befeuern.
Und ich möchte gerne den weiteren Wissenstransfer fördern. Allerdings ist hier mein Resümee, dass man nur mit einem Auftrag wirklich etwas ändern kann. Ich glaube, es braucht eine übergeordnete Organisation, oder zumindest ein gemeinsam mit einem lokalen Entscheidungsträger definiertes Projekt, um bestehende Strukturen zu verbessern oder wirklich Veränderung herbei zu führen.
Das was ich gemacht habe war spannend für mich und wahrscheinlich sogar im ganz kleinen Rahmen nutzbringend für einige Frauen dort. Aber wenn man wirklich etwas bewegen möchte, muss man das anders angehen. Mal sehen…
Schlussstrich und Knicks
Ich danke euch für euer Mitfiebern, eure Fragen und eure Ermutigungen. Mir hat es bei der Verarbeitung des Erlebten sehr geholfen, alles hier im Blog nochmal aufzuschreiben. Und durch eure tolle Anteilnahme (besonders auf Insta und Co) hat mir das auch unglaublich viel Spaß gemacht. Hier nochmal ein Link zur 7-wöchigen Instagram-Fotostrecke.
Wenn Fragen offengeblieben sind, lasst sie mir gerne als Kommentar da.
Und für alle Kolleginnen, die nächstes Jahr nach Bali zum ICM fahren: Für euch schreib ich demnächst noch Mal die wichtigsten Tipps und Facts zusammen.
Für alle BerlinerInnen: Am 29.10.2019 halte ich im Auguste-Viktoria-Krankenhaus einen Vortrag über Indonesien. (Details dazu findet auf meiner Veranstaltungsseite).
Danke fürs Begleiten! ♥
Wow, was für Erlebnisse! Was für ein Herzblut du in deine Beiträge gesteckt hast! Respekt, dass du all deine Höhen und Tiefen in zehn Teilen so ausführlich und persönlich dargestellt hast! Ich kann gut nachvollziehen, dass so viele „befremdliche“ Erlebnisse noch lange nach der Wiederankunft daheim in einem weiterarbeiten. Dort zu erleben, was aus unserer Sicht alles schief läuft und (vermeintlich) nichts machen zu können, ist wirklich schwierig.
Aber jeder kann ja im Kleinen bei sich selbst anfangen (wo es halt geht) und ich finde es klasse, dass du das für dich auch schon tust! Hut ab und danke, dass du deine Erfahrungen so bildhaft geteilt hast!
Danke für diese tolle Serie! Ich bin begeistert, schockiert und fasziniert von deinen medizinisch-geburtshilflichen Einblicken in ein für mich so fremdes Land.
Danke!
Das ging mir auch so…
Jana
hallo liebe Jana,
Sandra ist meine Name, Hebamme seit 2020 und ich bin gerade auf die Suche nach Entwicklung und Herausforderung und natürlich Abenteuer. Ich habe Interesse an einem Volunteer Einsatz in Indonesien und ich würde mich richtig freue, wenn du mir Orientierung geben könntest oder mit jemanden im Verbindung setzten könntest.
Ich bedanke mich herzlich!!!
Liebe Sandra, es ist total schwierig. Ich würde dir empfehlen, eine Organisation zu suchen, die dich unter die Fittiche nimmt. Ein Visum mit Arbeitserlaubnis, ist auf eigene Faust eine Herausforderung.
Viel Glück und liebe Grüße
Jana