Mein Hebammen-Indonesien-Abenteuer: In der hebammengeleiteten Clinic (8)

Dies ist der achte Teil der Artikelserie über mein ganz persönliches Hebammen-Indonesien-Abenteuer im Sommer 2019. Nachdem ich schon an der Uni und im Krankenhaus hospitiert hatte, arbeitete ich in dieser Woche in verschiedenen hebammengeleiteten Geburtshäusern, die hier „Midwife-Clinic“ genannt werden. (Die Fotos in diesem Blogbeitrag stammen aus fünf verschiedenen Geburtshäusern.)

Indonesisches Geburtshaus

In Indonesien können Hebammen eigenständig eine „Geburtsklinik“ eröffnen, wenn sie eine staatliche Berufsanerkennung haben und einen Arzt mit 24h-Rufbereitschaft anstellen. Diese Clinics ähneln im Prinzip unseren Geburtshäusern, nur dass alles viel einfacher eingerichtet und ausgestattet ist. Meist wohnt die leitende Hebamme auch im Geburtshaus. Die Privaträume sind also mehr oder weniger an die Geburts- und Geschäftsräume angegliedert. Die leitende Hebamme stellt die übrigen Hebammen bei sich an, die dann im Schichtsystem mitarbeiten. Oft ist aber gerade die leitende Hebamme bei den Frauen sehr begehrt, so dass sie irgendwie bei fast allen Geburten ein bisschen mitmischt. Sowieso sind hier immer zwei bis drei Hebammen bei den Geburten dabei. Die Frauen bringen sich, neben ihrem Mann, oft auch noch ein oder zwei Begleiterinnen mit, so dass bei den Geburten ganz schön was los ist. Den Arzt sieht man eher selten; ich habe in der Zeit dort keinen einzigen zu Gesicht bekommen.

Chefin und leitende Hebamme einer Clinic

Logistik

Für eine Verlegung ins Krankenhaus haben die Clinics in der Regel ein eigenes Transportauto, denn die meisten Menschen haben hier „nur“ ein Moped. Allerdings ist eine Verlegung in Medan ohnehin ein ziemlicher Horror, denn der Verkehr ist unglaublich und eine „Ambulance“-Aufschrift oder auch ein Blaulicht werden hier ungefähr genauso ernst genommen, wie eines der vielen herumlaufenden Hühner.

Transportfahrzeug eines Geburtshauses in Indonesien

Verlegungs-Transportauto und Chefin einer Clinic

„Spontane“ Geburt

Die Frauen kommen meist schon in der Schwangerschaft zur Vorsorge in die hebammengeleitete Clinic, wofür insgesamt vier Termine vorgesehen sind. Es gibt in fast jedem Distrikt eine Clinic, die dadurch eine Art Community-Funktion bekommt. Die Frauen erscheinen dort auch nach der Geburt weiterhin, zum Beispiel zur Vitaminausgabe für ihr Kind.
Manche Frauen kommen aber auch erst „spontan“ zur Geburt hereingeschneit, denn ohne Versicherung müssen ja alle Leistungen privat gezahlt werden. Für manche Familien ist die Vorsorge einfach zu teuer. Daraus folgt, dass zur Geburt oft nur eine akute und entsprechend sehr eingeschränkte Anamnese möglich ist.

Indonesischer Mutterpass: Tipps für die Schwangerschaft

Wenn Frauen zur Vorsorge kommen, wird ein Mutterpass ausgestellt, in dem auch Tipps zum Verhalten in der Schwangerschaft enthalten sind.

Kosten

Die Kosten für eine spontane Geburt – in einem günstigen Geburtshaus – liegen bei circa 18 Dollar. Das bedeutet: die Frau kommt mit Wehen, bekommt ihr Kind ohne Komplikationen, ruht sich etwas aus und geht wieder.
Das mittlere, monatliche Einkommen in Indonesien lag 2018 bei 185 USD, also etwa 6 USD am Tag. Die 150 USD, die in einem Krankenhaus für dieselbe Spontangeburt anfallen würden, sind da geradezu astronomisch. Arme Familien gehen daher sehr gerne in eine Clinic, wenn sie denn können und dort nicht wegen irgendwelcher Risiken abgelehnt werden.
Über die vielen Infektionskrankheiten und die diversen anderen Probleme hatte ich ja bereits in einem vorangegangenen Teil der Serie berichtet.

Kreissaal im Geburtshaus in Indonesien

Geburtsraum einer Clinic

Passiv gebären

Mich hat sehr überrascht, dass auch im Geburtshaus alle Frauen in Steinschnittlage – also auf dem Rücken – gebären, dabei zum Powerpressen angeleitet werden und nach der Geburt nicht bonden dürfen, beziehungsweise nicht wollen. Sie waren unter der Geburt extrem passiv und wollten sich danach vor allem erst einmal ausruhen – ohne ihr Kind, das sofort gewogen, gemessen, durchgecheckt, geimpft und dann sehr kunstvoll gepuckt wird.

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Die Babys werden hier nicht dauerhaft gepuckt, sondern nur in den ersten Tagen. Danach werden sie viel getragen, sei es von der Mutter oder von einem der vielen Verwandten. Die Frauen gehen hier meist sehr schnell wieder arbeiten, um zum Familieneinkommen beizutragen, wodurch die Kinder meist bei den Großeltern „geparkt“ werden. Das ist mit ein Grund für die allgemein kurze Stilldauer.

Stillvermeidung

Erst nach etwa einer Stunde konnten die Hebammen damit beginnen, die frisch gebackenen Mütter vom Stillen zu überzeugen. Viele wollten das auf gar keinen Fall. Nur knapp 40% aller Frauen stillen in den ersten sechs Monaten voll.
„Die Indonesische Regierung schätzt, dass der Tod von 30.000 Kleinkindern jährlich verhindert werden kann, wenn sie gestillt würden. Denn das Problem mit dem Pulver ist besonders in ländlichen Regionen das verschmutzte Wasser, mit dem es angerührt wird – ganz abgesehen von der ohnehin besser auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmte Muttermilch, die anfangs auch eine Immunsystem-Flatrate ist. Aber Umsatz muss sein! Also bezahlen die Konzerne Krankenhäuser und Hebammen, damit sie selbst bei vollen Brüsten den Milchpulverersatz empfehlen.“ (Quelle: betterplace – lab)
Auch in einer der Hebammen-Clinics steht im Flur ein Schrank mit Milchpulver:

Ich weiß, darüber hatte ich schon in einem anderen Teil geschrieben, aber es regt mich einfach so auf!

Erstversorgung und U1

Nach der Geburt bekommen alle Kinder Silbernitrat-Lösung in die Augen getröpfelt. Geschlechtskrankheiten sind häufig und werden in der Schwangerschaft nicht gescreened. Daher ist die Augenbehandlung zur Vermeidung einer Erblindung in Indonesien Standard. Die Kinder werden auch sofort gegen Hepatitis geimpft. Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) einer Hepatitis B Infektion liegt in Indonesien – je nach Region – bei 2,5 – 10 %. Dabei werden 25% – 50% der chronischen Infektionen von Müttern auf die Kinder übertragen. Daher also die sofortige Impfung.

In Deutschland wird Vitamin K zur Unterstützung der Blutgerinnung oral verabreicht. In Indonesien wird es, wie bei uns früher auch einmal, als Spritze in den Muskel gegeben.
Die U1, die Erstuntersuchung des Babys, findet genauso wie bei uns statt. Es wird danach geschaut, ob “alles dran“ ist, Reflexe funktionieren, Fehlbildungen erkennbar sind, der Reifegrad des Babys analysiert, nachgesehen ob durch die Geburt beispielsweise ein Geburtsgeschwulst oder andere Blessuren entstanden sind. Und natürlich werden Gewicht, Länge und Kopfumfang des Babys gemessen.

Gepucktes Baby im Geburtshaus in Indonesien

Gepucktes Baby nach der Erstversorgung

Bonden

Jedoch wird das Baby nach der U1, wie beschrieben, eingewickelt und ins Bettchen (weg-) gelegt. Gebondet wird eher nicht. Auch nicht vom Papa oder anderen Angehörigen. Ich habe es zumindest nur so erlebt.
Da gibt es aber kulturell-religiös motivierte, regionale Unterschiede. Bei Hindu-Familien – so wurde mir gesagt – werden die Babys in den ersten drei Monaten niemals einfach beiseitegelegt, sondern permanent am Körper getragen, oder sie haben zumindest Hautkontakt. Der Grund dafür ist die Angst vor Geistern, die sonst Besitz vom Baby ergreifen würden.

Offenes Wohnzimmer der leitenden Hebamme. Ihr kleinstes Kind schläft, das größte hat Obst besorgt. So sitzen alle nach der Geburt noch zusammen, essen und albern herum.

Wochenbett

Nach der Geburt ruhen sich die Frauen einige Stunden bis hin zu drei Tagen in der Clinic aus und gehen dann nach Hause. Je nach bezahltem Package werden sie in den nächsten Tagen von der Hebamme zu Hause besucht. Die Krankenkasse (wenn denn eine vorhanden ist) bezahlt vier Nachkontrolltermine in der Clinic: einen pro Woche. Sie dienen vor allem der Zustandskontrolle des Babys. Es wird gewogen und durchgecheckt. Je nach Engagement der Hebammen (das habe ich wirklich sehr unterschiedlich erlebt) wird auch Stillberatung gemacht und mal nach der Rückbildung geschaut. Am letzten Termin geht es um die Familienplanung, die hier leider fast ausschließlich Frauensache ist. Daher entscheiden sich die meisten Frauen für die Verhütungsspritze, die sie sich dann regelmäßig abholen kommen.
Der Clinic bleiben sie aber verbunden. Hier werden die Kinder regelmäßig mit Vitaminen versorgt und geimpft. (All das: Verhütung, Impfen und Vitaminvergabe, machen die Hebammen.)

Kindersprechstunde mit Vitamin A-Ausgabe

Die Menschen in Indonesien leiden oft an verborgenem Hunger. Das bedeutet, sie werden zwar meist satt, bekommen dabei aber eben nicht alle Vitamine und Nährstoffe, die sie brauchen. Es mangelt vor allem an Vitamin A, Eisen und Jod, aber auch an Folsäure, Vitamin D und weiteren Nährstoffen. Zink ist zum Beispiel wichtig für das Immunsystem und kann Kindern helfen die häufig auftretenden Durchfallerkrankungen gut zu überstehen.

Ich finde es ja verrückt, dass es in Indonesien Vitamin D-Mangel gibt. Schließlich scheint hier immer die Sonne, da es nur zwei Jahreszeiten gibt: nämlich den Sommer mit und den Sommer ohne Regen. Ich kenne Vitamin D-Mangel eigentlich nur aus Gebieten mit wenig Sonneneinstrahlung. Bei uns wird daher eine Vitamin D-Substitution im ersten (Winterhalb-) Jahr empfohlen.
In Indonesien ist aber 80 – 90% der Bevölkerung muslimisch und verhüllt dementsprechend einen Großteil der Haut dauerhaft. Und auch bei den übrigen 10 – 20% gilt helle Haut als Schönheitsideal, so dass die Sonne oft gemieden wird.
Bei den Vorsorgeuntersuchungen war ich stets heiß begehrt und sollte immer die Bäuche abtasten, weil die Frauen hofften, dass dadurch meine helle Haut auf ihre Babys abfärben würde. An den Tagen an denen ich dort war bildeten sich wirklich Schlangen vor der Clinic. Die leitende Hebamme wollte mich am liebsten adoptieren.
Auch die Supermärkte sind voll von Hautaufheller-Produkten und ich hatte sogar Schwierigkeiten überhaupt ein Duschgel „ohne“ zu finden. Übrigens war in Sachen Aberglaube ein weiterer, häufiger Wunsch der Mütter, die Babys sollten durch mein Bauch-Abtasten doch bitte auch meine Nase bekommen, was ich ja keinem von ihnen wirklich wünsche. 😉

In der Kindersprechstunde wird hier vor allem Vitamin A ausgegeben, denn ein Mangel kann zur Erblindung führen. Und auch für das Immunsystem spielt Vitamin A eine entscheidende Rolle. Nach Angaben des Kinderhilfswerks Unicef würde eine bessere Vitamin A-Versorgung die Kindersterblichkeit weltweit um ein Viertel (!) senken. Besonders in den ersten 1000 Tagen des Lebens ist die Versorgung mit Mikronährstoffen wichtig, weil hier die körperlichen Weichen für eine gesunde Entwicklung gestellt werden.

In der Kindersprechstunde wird natürlich auch nach dem Gewicht und der Entwicklung der Babys geschaut und zum Stillen, Zufüttern und zur Beikost beraten. Außerdem werden die Babys hier geimpft. Auf dem Foto (oben) sind die Vitamindosierung und das Impfschema zu sehen. Das ist übrigens eine Seite aus dem genialen Mutterpass, den es hier gibt. Dazu in einem späteren Artikel mehr.
Auf dem Titelbild sieht man eine Mutter, die ihr Kind schon mal draußen vor der Clinic auf die dort aufgestellte Waage legt, bevor sie zur Sprechstunde hereinkommt.

To be continued

Im nächsten Teil der Serie darf ich dann auch mal eine Geburt begleiten und nehme Baby Auguste in Empfang. Ich trete dabei in indonesische Fettnäpfchen und werde weiterhin permanent gefilmt und fotografiert.

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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1 Kommentar
  1. Avatar
    Angela sagte:

    Mega spannend dein ganzer Bericht, vielen Dank für die Einblicke! Ja wir wissen einfach nicht wie gut wir es in Deutschland haben…
    LG Angela

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