Mein Hebammen-Indonesien-Abenteuer: Ankunft auf Sumatra (3)

Dies ist der dritte Teil der Artikelserie über mein ganz persönliches Hebammen-Indonesien-Abenteuer im Sommer 2019. Nach meinem Familienurlaub auf Bali ging es weiter zum Arbeitseinsatz in Medan auf Sumatra.

Am ersten August war es dann endlich soweit. Plötzlich ging alles ganz schnell und ich musste los zum Flughafen. Ganz kurz bekam ich einen riesigen Bammel. Meine Familie würde ohne mich nach Hause fliegen und ich war auf dem Weg in eine ganz ungewisse Zeit. Aber nach vielen Küssen und Liebesbekundungen und einigen Tränchen konnte ich mich dann losreißen.
Und schwups, sechs Stunden später, war ich auf Sumatra. Neue Insel – neue indonesische Welt.

VIP – Empfangskomitee

Edi, ein Unimitarbeiter mit dem ich auf Grund seiner guten Englischkenntnisse bisher alles Organisatorische besprochen habe, hat mir ja vorab einen „Ablaufplan“ geschickt. Daher wusste ich bereits, dass mein Besuch als sehr besonders eingestuft wurde: im Plan war nämlich für den ersten Unitag von einer Begrüßungszeremonie die Rede. Little did I know.

Edi würde mich also, wie angekündigt, zusammen mit der Fachbereichsleitung Herna am Flughafen in Sumatra abholen. Das fand ich ja schon etwas crazy und recht übertrieben, aber eben auch sehr nett.
Als ich in den Wartebereich des Flughafens kam, standen dort allerdings nicht zwei, sondern vier Menschen. Mir wurde Putri vorgestellt: eine Hebammenstudentin, die ebenfalls sehr gut Englisch sprach und die mir nicht mehr von der Seite weichen sollte. Also wirklich gar nicht mehr! Drei Wochen lang. Sie wurde meine Dolmetscherin, meine Sachenerklärerin und meine Freundin. Naja, sie ist so alt wie meine Tochter (20). Also eine „töchterliche Freundin“. Außerdem gab es noch einen Chauffeur.
Es war eine super freundliche Begrüßung. Glücklicherweise wusste ich ja schon durch Bali wie man sich angemessen verhält, sparte mir aber die formelle Hindubegrüßung: „Om Swastiastu“, die auf Bali allen Menschen ein Lächeln auf‘s Gesicht zauberte. Sumatra, das wusste ich, beherbergt größtenteils Moslems und Christen. Andere Religionen, andere Begrüßungen. Hier gab man mir die Hand und dann Küsse rechts und links auf die Wange.

Erkenntnisreiche Autofahrt

Auf der 45-minütigen Fahrt nach Medan tasteten wir uns menschlich ab. Und natürlich prasselte es sofort Fragen zu geburtshilflichen Themen. Auch ich war natürlich furchtbar neugierig und fragte gleich drauf los.
Noch im Auto entdeckten wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede und glichen sogar schon Zahlen ab: Wie ist die Sectiorate? 70%! Nur die ganz armen Menschen haben Spontangeburten (wenn sie keine Versicherung haben und sich die teure OP nicht leisten können). Und wenn, dann immer in Rückenlage. „Das finden die Frauen gemütlicher“, heißt es zur Begründung. Die Mütter- und Säuglingssterblichkeit ist sehr hoch. Woran das liegt, möchte ich gleich wissen und erfahre:

  • Zu späte Entscheidung zur Verlegung ins Krankenhaus
  • Keine adäquaten Transportmöglichkeiten
    Die Straßen sind schlecht, nur Wenige besitzen ein Auto. Haupttransportmittel sind Mopeds.
  • Schlechter Allgemeinzustand der Frauen.
    Viele gehen schon mit einem HB unter 8 in die Geburt.

Letzteres finde ich ja besonders verrückt, denn eisenreiches Essen wächst hier ja überall und es wird verhältnismäßig viel Fleisch gegessen, wie ich finde. Allerdings bekommen Mann und Kinder immer die besten Happen. Es scheint kein Bewusstsein dafür zu geben, dass Schwangere besonders gesund essen sollten. Sie essen dann vor allem Reis mit Brühe. Das macht satt, bietet aber leider nicht genügend Nährstoffe und Vitamine, die es eben braucht. Wirklich große Armut, gepaart mit einem logischerweise extrem geringen Bildungsstand, ist hier allgegenwärtig.

Freundschaft geht durch den Magen

Als wir in Medan ankamen war ich wirklich müde. Der emotionale Muskelkater durch den Abschied von meiner Familie, die 6-stündige Anreise mit Zwischenstopp auf Java, meine Flugangst, die erneute Zeitverschiebung, das alles zollte nun seinen gnadenlosen Tribut. Ich hätte gut und gerne sofort ins Bett fallen können. Stattdessen gingen wir Essen. Ich hatte ja im Flugzeug schon gegessen, wollte aber auch nicht unhöflich sein. Ich sagte nur, dass ich nicht so hungrig sei, aber eine Kleinigkeit noch nett wäre.

Sie führten mich in eine echt indonesische Mall. Alles war blinkig und gülden und plüschig und laut. Im Restaurant wurde die Karte munter einmal rauf und runter bestellt. Ich dachte nur: „OK, die sind wohl hungrig“. Natürlich stellte sich heraus, dass ich alles probieren sollte. Vorher wurde gebetet: christlich. Aha, ich bin also bei den Christen gelandet. Check.

Tapfer kämpfte ich mich also durch die verschiedensten Gerichte. Aber mein Magen streikte einfach. Dabei waren alle so wahnsinnig nett. Es war schon etwas schlimm und gleichzeitig fühlte ich mich sehr, sehr freundlich empfangen.

Irgendwann stieß noch eine echt fetzig aussehende Frau zu uns. Sie wurde mir als die Unidirektorin vorgestellt. Sie knutschte mich auch gleich rechts und links ab und beteuerte wie glücklich sie sei mich kennen zu lernen. Das tat sie, indem sie jeweils einen Satz auf Englisch anfing, kurz stecken blieb, um ihn dann in ausführlichem Indonesisch zu vervollständigen. Anschließend übersetzte Putri stets mit knappen Drei-Wort-Sätzen. Es war irgendwie witzig und süß, aber leider auch sehr anstrengend für mich. Ich glaube zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits einen amtlichen Grinsemuskelkater.

Mein kulinarischer Endgegner

Durch Bali kenne ich alle lokalen Obstsorten und finde die meisten richtig lecker. Das einzige Obst an das ich echt nicht rankomme ist Durian. Das ist eine sehr große, stachelige Frucht, äußerlich der Jackfruit ähnlich, aber mit einem faserigen Innenleben. Es schmeckt künstlich und süß und stinkt enorm faulig.
Zu meinem Verderben wurden zum Nachtisch Durian-Dumplings gereicht. Alle waren jetzt ganz aufgeregt, da es sich um eine lokale Spezialität handelte. Ich überlegte kurz abzulehnen, merkte aber, dass ich aus der Nummer nicht mehr raus kam. Daher nahm ich todesmutig einen der Dumplings und bot die restlichen drei, mit meinem freundlichsten Lächeln, allen anderen aus der Gruppe an. Mit großer Mühe (wirklich!) verdrückte ich das Teil. Das hört sich jetzt vielleicht picky an, was mir aber sonst eigentlich nicht nachgesagt wird. Es war wohl einfach das Zusammenspiel aus großer Müdigkeit, schon viel zu viel gegessen zu haben und nun den Endgegner angeboten zu bekommen. Eigentlich bin ich essenstechnisch sehr experimentierfreudig. Endlich war es vorbei und wir brachen auf.

Da es eine Mall war in der wir gegessen hatten, wurde ich tatsächlich gefragt, ob ich noch shoppen möchte. Ich wollte natürlich nicht. Putri ging aber „noch schnell eine Kleinigkeit besorgen“, was eine weitere halbe Stunde dauerte. Und dann ging es mit vielen Tüten bepackt endlich, endlich zu dem Appartement. Auf dem Weg konnte ich noch ein bisschen was von Medan sehen.

Medan City

In meinem Reiseführer wird Medan als die Stadt beschrieben, die man ruhig schnell wieder verlassen kann, wenn man auf Sumatra landet: laut, dreckig, nüscht Besonderes. Mein erster Eindruck war dann auch, dass Medan nicht so wunderhübsch ist. Eine Mischung aus der Armut, die ich auch auf Bali kennen gelernt habe, und einer Stadt, die anderen asiatischen Großstädten nachstrebt, also unglaublich blinkig und laut, mit großen, zweispurigen Straßen, die dreispurig benutzt werden. Darauf sind neben den Autos massenhaft Mopeds mit verrückten Aufbauten unterwegs, so dass auf ihnen entweder Großfamilien oder diverse Waren Platz finden.

Erstbezug

Das Haus in dem ich wohnen sollte war mir als kleines, der Uni zugehöriges Appartement angekündigt worden. So ne Art schickeres Dorm. Es stellte sich aber als Villa mit eigenem Pförtner heraus. Alles war so neu und teilweise noch in Plastik verpackt. Tatsächlich ist es extra für ausländische Gäste errichtet worden und ich war die erste Kandidatin. (Siehe Titelbild)

Ich fühlte mich wie in so einem Film, indem jemand verwechselt wird und dem dann etwas zu Teil wird, was eigentlich für jemand Anderen bestimmt war. Verrückte, asiatische Gastfreundschaft. Es war mir ein bisschen zu viel. Vor allem, wenn ich mir vorstelle, wie wir in Deutschland eine Studentin, die einen Austausch macht, behandeln würden… : Sicherlich auch sehr freundlich, aber nicht annähernd so ausufernd und verwöhnend.
Das Schlafzimmer hatte ein riesiges Prinzessinnenbett und es stellte sich heraus, dass Putri bei mir schlafen sollte.

Inzwischen war ich so müde und fertig von dem ganzen Socializing, dass mir eigentlich Alles egal war. Ich fragte nur noch, wann es am nächsten Tag los gehen sollte (7.45 Abfahrt zur Uni) und fiel ins Bett. Bei aller Müdigkeit ging mir so viel durch den Kopf und ich ging sogar nochmal meine Präsentation für den nächsten Tag durch. Endlich fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Putri schlief übrigens im Wohnzimmer auf der riesigen Couch. Das war ihr wohl auch etwas strange, bei einer Frau im Bett zu schlafen, die sie gerade erst kennen gelernt hatte.

To be continued

In Teil 4 der Artikelserie geht es weiter mit meinem ersten Tag an der „Stikes Mitra Husada Medan“ Uni, wo ich wie eine Königin begrüßt wurde und weitere Einblicke in die indonesische Geburtshilfe bekam.

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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2 Kommentare
  1. Avatar
    Madlen sagte:

    Hallo Jana,

    wow – deine Erfahrungsberichte lesen sich wie kleine aber feine Romane. Die lassen sich verschlingen wie ein guter Roman! Hast du während seines Aufenthalts Tagebuch geschrieben, dass du alles nich so detailliert vor Augen hast?
    Was für eine andere Welt! Was für eine paradoxe Situation – die hohen Sektioraten auf der einen Seite und die damit verbunden Kosten auf der anderen Seite. Und dann gibt es doch wahnsinnig viele Großfamilien, die dann – wie kann es auch anders sein – in Armut leben müssen. Unvorstellbar, dass die Bevölkerung das von der Politik so duldet. Aufklärung ist wohl auch hier wieder das A und O. Ich hätte vermutet, dass die Länder in Südostasien viel weiter entwickelt sind und (durch eine gewisse Naturverbundenheit) intuitiv natürlicher mit Schwangerschaft und Geburt umgehen als bei uns.
    Bin gespannt wie es weitergeht!
    Danke fürs Teilen!

    Madlen

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    • Avatar
      Jana Friedrich sagte:

      Liebe Madlen, vielen Dank.
      Ich habe schon dort angefangen, die Texte zu schreiben – also relativ zeitnah.
      Ja, ich war auch erstaunt. Aber ich werde noch auf die sehr vielfältigen Gründe der Sectioraten und so eingehen. Das hat sich mir auch erst nach vielen Gesprächen erschlossen, was das für ein Geflecht von Aberglaube, mangelnder medizinischer Möglichkeiten, mangelnder Vorbilder, schlechter Bildung und so weiter ist. Das ist spannend aber auch traurig. Ich hatte mir auch eher erhofft einiges von den traditionellen Hebammen lernen zu können. Tatsächlich war es ganz schön hart, zu sehen, wie das dort alles läuft. Aber das drissel ich in den nächsten Tagen noch auf.
      Danke fürs Mitlesen.
      LG
      Jana

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