Attachment Parenting Kongress 2018
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Der bereits dritte Attachment Parenting (AP) Kongress fand am 13. & 14. Oktober 2018 in Hamburg statt. Attachment Parenting, das heißt soviel wie Bindungsorientierte Elternschaft. Der AP-Kongress ist ein Fachkongress, der sich aber auch an interessierte Eltern richtet. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die neusten Erkenntnisse der Bindungsforschung vorzustellen und die Vernetzung zu fördern.
Ich war zum zweiten Mal dabei. Da ich den letzten AP-Kongress ausgelassen hatte, war ich besonders erfreut, dass inzwischen so viele Hebammenthemen in den Vorträgen vertreten waren. Dementsprechend habe ich viele Kolleginnen angetroffen und möchte fast behaupten, dass ein Viertel der KongressteilnehmerInnen Hebammen waren.
Freundlicherweise hat mich die Firma Weleda, einer der Hauptsponsoren des Kongresses in Hamburg, eingeladen. Ich muss sagen, Weleda ist wirklich eine der wenigen Firmen, die sich sowohl für Hebammen als Berufsgruppe als auch für Familien und ihre Belange einsetzen. Und das schreibe ich nicht wegen der Einladung, sondern dies ist der Grund, warum ich die Einladung sehr gerne angenommen habe.
Baby Basics
Ich startete am ersten Tag mit den Baby Basics von Frauke Ludwig & Diana Schwarz, die auch die Veranstalterinnen des Kongresses sind. Bei den Baby Basics geht es um Babybedürfnisse und ganz viel darum, wie wir sie verstehen und stillen können. Die beiden Frauen hatten ganz tolle Beispiele im Gepäck. So wie die Geschichte einer Gorillamutter, die im Zoo mit einer Flasche aufgezogen worden war und nun ein Baby bekommen hatte. Sie wusste nicht, wie sie ihr Kleines füttern sollte und hielt es immer falsch herum, also mit dem Rücken zu ihrer Brust. Bis stillende Mütter vor das Gehege gesetzt wurden. Dann schaute sich die Affenmutter das ganz schnell ab. Will heißen: Wir brauchen gute Vorbilder. Auch wir leben nicht mehr oft in Großfamilien und sind oft hilflos, wenn unsere ersten Kinder geboren werden. Jedenfalls sind die kompletten Baby Basics klasse und übrigens auch im gleichnamigen Buch* nachzulesen.
Trotzphase? Autonomiephase? Überhaupt eine Phase?
Danach ging ich zu Susanne Mieraus Vortrag über den bedürfnisorientierten Umgang mit schwierigen Phasen in der Eltern-Kind-Beziehung. Ein Vortrag, der sich sowohl an Eltern richtete, als auch an ErzieherInnen und andere Berufsgruppen, die mit Familien arbeiten. Eigentlich war das nicht so richtig mein Thema. Denn meine Arbeit beeinflusst das nicht mehr und privat bin ich da ja schon eine ganze Weile raus. Aber ich bin trotzdem hingegangen, weil ich Susanne so klasse finde und ihr wahnsinnig gerne zuhöre. Für wen die „Trotz”- bzw. Autonomiephasen aber gerade anstehen, dem empfehle ich Susannes Buch: „ICH! WILL! ABER! NICHT!*“
Selbstbestimmte Geburt
Einen weiteren Vortrag, den ich sehr inspirierend fand, war der von Verena Schmid. Ich kannte sie bereits aus dem Film „Die sichere Geburt – Warum Hebammen?“ von Carola Hauck (der übrigens auf dem Kongress auch nochmals gezeigt wurde) und war sehr neugierig darauf, Frau Schmid mal live zu hören.
Frau Schmid vertrat eine sehr kämpferische, feministische Sichtweise, was einerseits sehr inspirierend, andererseits aber auch irritierend war. Ich versuche etwas von den für mich sehr nachvollziehbaren Punkten wiederzugeben. Frau Schmids These ist, dass wir (als Gesellschaft) schon seit einigen Generationen von der Geburt entbunden – im Sinne von entfremdet/unselbstständig – sind.
Unsere Geburtshilfe ist keine reine Hilfe, sondern ein System der (patriarchalen) Macht, in dem mit Ängsten gearbeitet wird. Dadurch ist es so schwer selbstbestimmt zu agieren. Wenn dann etwas schief geht, ist die Frau daran schuld. Ich denke diesen Druck kennen die meisten Menschen, die sich für eine Hausgeburt entschieden haben. In der Regel begegnen einem dann andere Menschen mit Sorge oder sogar mit angstmachenden Prophezeiungen. Und das, selbst wenn keinerlei Risiken vorliegen.
Außerdem beleuchtete Frau Schmid die Angst vieler Frauen, durch Schwangerschaft und Geburt in traditionelle Rollenmuster und Abhängigkeiten zu rutschen. Das ist ein Thema, welches zur Zeit ja auch viel durch die sozialen Medien geht. Und es ist ja auch total schwierig. Entweder man geht im Muttersein auf und genießt das ganz bewusst. Dann wird man von der Umwelt sofort als „nur Mutter“ und unfeministisch entwertet. Oder man kämpft bewusst gegen diese Rollenzuschreibung an, dann ist man eine Rabenmutter.
Eigentlich kann man ganz entspannt sein, richtig kann man es eh nur für sich selbst machen (sage ich, nicht Frau Schmid).
Was hat mich irritiert? Es fällt mir tatsächlich schwer, das zu fassen. Ich kann keine konkrete Aussage Zitieren. Es war eher etwas, was mitschwang, etwas zu kämpferisch-Dogmatisches. Darüber muss ich noch etwas nachdenken. Aber im Pausengespräch wurde klar, dass es einigen so ging, wie mir.
Gute Nächte für alle
Zum Abschluss des ersten Kongresstages hörte ich mir noch Nora Imlaus Vortrag „Gute Nächte für alle“ an. Ich bin ja bekennender Nora-Fan und habe hier auch schon mal ein anderes Attachment Parenting Buch* von ihr vorgestellt. Ihre Vorträge sind immer super schön strukturiert, total praxisnah und einfach rund. Weil ich aber nach dem langen Kongresstag schon so müde war, habe ich nichts mehr mitgeschrieben. So bleibt mir nur noch euch Noras Buch (welches sie zusammen mit Herbert Renz Polster geschrieben hat): „Schlaf gut Baby*“ ans Herz zu legen.
Wellnessoase
So viele tolle Vorträge, schöne Pausengespräche und zwischendurch leckeres Essen haben mich echt positiv geschafft. Super schön war der von Weleda ausgestattete Wellnessraum, in dem man sich zwischendurch mit einer Hand- oder Nackenmassage mit den Weledaprodukten verwöhnen lassen konnte.
Das hab ich natürlich gemacht, sodass ich am ersten Abend nach Rose duftend und relativ entspannt den Kongress verließ. Mit einigen Anderen machte ich noch einen kleinen Abendspaziergang an der Alster entlang zum Hotel.
Abendessen war ich mit meiner alten Hamburger Freundin, wonach ich dann razifazi in meinem gemütlichen Hotelbett einschlief.
Auch der nächste Tag war wieder vollgefüllt mit Input. Erst informierte ich mich bei Robby Sander zum Stand der Dinge beim Kiss-Syndrom. Aber vielleicht schreibe ich darüber noch mal gesondert etwas…
Oxytocin
Einer meiner absoluten Highlights des Attachment Parenting Kongresses war der Vortrag von Dr. Rer. Medic Christiane Schwarz.
Oxytocin ist uns ja allen als Liebes- oder Bindungshormon ein Begriff. Ein Hormon, das unser Körper selbst produziert, wenn wir lieben, besonders bei Hautkontakt, kuscheln, Sex und das auch unter der Geburt und beim Stillen ausgeschüttet wird.
Frau Schwarz referierte über den leichtfertigen Gebrauch von Oxytocin in der Geburtshilfe. Denn nur, weil es ein körpereigenes Hormon ist, sei es doch künstlich zugeführt noch lange nicht harmlos. Im Gegenteil. Oxytocin rankt wohl auf Platz 7 der gefährlichsten Medikamente der Welt! Zu dem Schluss gelange man, wenn man Schadensfälle auswertet und schaut, welche Medikamente zu dem Geschehen beigetragen haben, sagte Frau Schwarz. In vielen Fällen käme es zu Überdosierungen und die Überstimulation würde zu spät bemerkt. Zum Beispiel dann, wenn eine Geburt am Ende nochmal deutlich beschleunigt werden soll und der Tropf schnell um ein Vielfaches erhöht werde. (Alle Hebammen, die in der Klinik arbeiten, kennen das bestimmt.)
Wir Hebammen haben uns ja an die Verwendung von Oxy bei einem protrahierten Verlauf, nach PDA oder bei unregelmäßig erscheinenden Wehen schon gewöhnt. Aber natürlich ist es gut, bestehende Paradigmen auch immer mal wieder zu hinterfragen. So recherchierte Frau Schwarz, dass Geburten unter Verwendung von Oxy etwas schneller vorangingen, es aber keinen Unterschied bei der Sectiorate gab. Und die perinatale Mortalität ist wohl überhaupt noch nicht untersucht worden. Die prophylaktische Gabe von Oxytocin postpartum (nach der Geburt) verringere tatsächlich das Risiko von Blutungen um bis zu 500ml, aber nicht die, die größer als 1000ml seien.
Bei 50% aller Schadensfälle in der Geburtshilfe war Oxytocin in Benutzung. Die Kombination von einer PDA und einem Oxytocintropf führt zu deutlich mehr protrahierten Geburten und somit zu einer erhöhten Blutungsgefahr.
Was ich auch sehr interessant fand war, dass Frau Schwarz sagte, die Geburten dauerten heute generell länger, als noch vor 50 Jahren. Die Dauer habe sich um cira zwei Stunden verlängert. Gründe seien, dass sowohl die Frauen, als auch die Kinder etwas schwerer seien und die PDA-Raten von 4% auf 50% gestiegen seien. Allerdings kämen die Kinder im Schnitt fünf Tage früher zur Welt.
Frau Schwarz hatte auch gleich noch einige Praxistipps im Gepäck. Sie riet dazu, Frauen so spät wie möglich in die Klinik aufzunehmen, so selten wie möglich (höchstens vierstündlich) zu untersuchen und den Frauen einfach besser zuzuhören.
Von guten Eltern und glücklichen Paaren
Nach dem Mittagessen hörte ich den Vortrag meiner lieben, geschätzten Kollegin Anja Gaca: „Von guten Eltern und glücklichen Paaren*“. Das Buch zum Vortrag liegt ja auch immer bei meinen Geburtsvorbereitungskursen aus. Das erste Kind zu bekommen ist für eine Paarbeziehung nämlich eine Herausforderung. Die meisten Eltern, die sich trennen, trennen sich im ersten Babyjahr. Warum? Schlafmangel, aus einem Paar wird eine Familie, die Aufmerksamkeit verschiebt sich, neue Aufgaben müssen halbwegs gerecht verteilt werden. All das sind Anforderungen an die bestehende Beziehung, die es zu meistern gilt. Anja hatte gleich einige gute Tipps mit dabei, wie sich Probleme umschiffen lassen. Auch hier möchte ich auf ihr Buch verweisen, welches sie gemeinsam mit ihrem Mann Christian Gaca geschrieben hat. Hier lassen die Vierfacheltern wirklich ihr ganzes Know how einfließen, und wenn man die beiden so liebevoll miteinander und mit ihren Kindern sieht, dann muss was dran sein, an ihren Strategien.
Sichere Bindung – sichere Geburt
Sehr gespannt war ich auf den letzten Vortrag von Inken Harring Andersen, indem es um Geburtsvorbereitung gehen sollte. Da das in den letzten Jahren auch zu einem meiner Lieblingsthemen geworden ist, bin ich da immer auf der Suche nach neuen Impulsen. Ehrlich gestanden war ich aber sehr enttäuscht, denn die Einleitung dauerte ewig, es kam für mich nicht wirklich etwas an und ich verließ schon kurz vor Ende des Vortrags frustriert den Saal. Das war wie ein einstündiger Vorspann, wobei man immer wartet, dass der Film losgeht und er tut es nicht. Irgendwann konnte ich das leider einfach nicht mehr aushalten.
Ich wechselte dann noch für die letzte Viertelstunde zu Anja Gacas Vortrag über vegane Ernährung von Kindern.
Und das war es dann vom Attachment Parenting Kongress für dieses Jahr. Während die Putzkolonne schon ans Werk ging, strömte die ganze Attachment-Gemeinde schon dem nahegelegenen Bahnhof zu. Es war sehr schön und sehr inspirierend und ich freue mich bereits jetzt auf das nächste Mal.
Herzlichen Dank an Frauke und Diana für den gelungenen Kongress. Und vielen Dank an Weleda für die Einladung! ♥
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